Müssen wir nun alle unter das Solarium?

■ Der Weg ins neue Leben

Als der Professor Helmut H. kürzlich ob seiner gesunden Urlaubsbräune angesprochen wurde - er sah aus wie die Konsorten Mittag und Kleiber in ihren besten Zeiten, wenn sie jährlich am 1. Mai ihr Volk abnahmen -, antwortete er schlagfertig: Ja, man muß jetzt auch anders aussehen!

Es ist nicht wenig, was in dieser Richtung alles auf uns zurollen soll. Und es zeigt sich, daß die DDR-Menschen den neuen Zwängen und Erwartungen in sehr unterschiedlicher Weise nachkommen. So mich mein Überblick nicht täuscht, sind die männlichen Moderatoren der Politsendungen des Adlershofer Regionalprogramms bisher am weitesten, was Tweed und Pep und Habitus angeht. Das mag zum Teil daran liegen, daß sie ihr Geschäft schon lange betreiben und als Korrespondenten die Larmoyanz bundesdeutschen Öffentlichkeitswesens schon einüben durften, als die Zuhausegebliebenen sich ihren Duft an Welt aus den gelben Bundespostpäckchen mehr oder weniger regelmäßig herausschnuppern mußten. (Da fällt mir ein: Werden die Westler auch nach der Währungs-Union Päckchen schicken? Und: Werden sie sie auch weiterhin von der Steuer absetzen dürfen?).

Es ist schwer auszumachen, wie verschieden lange die verschiedenen Bevölkerungsgruppen brauchen werden bis zur völligen Angepaßtheit. Ganz schwarz sehe ich zur Zeit noch im Handel. Ob da nun an der Kaufhallenkasse stapelweise Rittersporttafeln liegen oder nicht, ob sie Pyramiden aus Colabüchsen bauen oer es sein lassen - die Verkäuferinnen sind nach wie vor so, wie wir sie seit Jahren kennen. Dann allerdings gibt es wieder Personen, deren Flexibilität schier verwundert. Da lernte ich zum Beispiel (durch ein hektographiertes Rundschreiben) Herrn Tiede aus Magdeburg kennen. Herr Tiede ist dorten Leiter des Kulturhauses „Ernst Thälmann“ (das in der Erich-Weinert-Straße steht); mal sehen, wie lange noch die Anhaltiner sich diese Namen gefallen lassen... Herr Tiede jedenfalls teilt in seinem Schreiben mit, daß sie in seinem FDGB-Kulturhaus am 20. Mai die „Miss Sachsen-Anhalt“ wählen wollen.

Und am 10. April fand nun - in Vorbereitung des kommenden Kulturereignisses - eine Pressekonferenz statt. Zitat: „Als Gast wird die amtierende Miss Germany, Claudia Weins, aus Köln teilnehmen und Ihnen für Fotos zur Verfügung stehen. Die Misswahl ist eine Gemeinschaftsproduktion des Kulturhauses Ernst Thälmann und der Miss Germany Corporation aus Oldenburg...“

Wie sagte doch der Kommissar im letzten Krimi - es hat jeder seinen Preis, auch ein Gewerkschaftsfunktionär. Müssen wir nun alle auch unter das Solarium? Denn man muß ja jetzt auch anders aussehen.

Wolfgang Sabath