„Ich tendiere zu Berlin-Brandenburg“

■ Interview mit dem Westberliner CDU-Vorsitzenden Eberhard Diepgen zur künftigen Länderstruktur im Großraum Berlin / Wer soll wann welches Parlament wählen - und wird es eine große Koalition Momper-Diepgen geben?

Eine der zentralen Fragen für die Zukunft Berlins liegt in der Entscheidung darüber, ob es ein Land Groß-Berlin oder ein Land Berlin-Brandenburg geben wird. In den Parteien Ost wie West - wird derzeit über dieses Problem nachgedacht. Die SPD äußerte sich bereits sehr früh, die CDU hielt sich bisher mit öffentlichen Äußerungen zurück. Die taz sprach mit Oppositionschef Diepgen über Wahlen und die künftige Länderstruktur - und der tat sich, eingebunden in eine wenig eindeutige Parteidisziplin, sehr schwer mit klaren Zielsetzungen.

taz:Herr Diepgen, die West-Berliner SPD hat sich zunächst vehement für ein Land Berlin-Brandenburg ausgesprochen, mittlerweile favorisiert sie eher ein Land Groß-Berlin. Was meint die CDU?

Eberhard Diepgen:Wir müssen diese Frage als CDU Berlin auch mit den Kollegen im anderen Teil der Stadt abstimmen, wir fühlen uns hier eingebunden in die gemeinsame Sachaussage der Allianz. Die Entscheidung ist noch nicht getroffen, es gibt meiner Ansicht nach gute Argumente für jede Entscheidung. Im Vordergrund sollte die Frage stehen, wie eine größtmögliche Arbeitsfähigkeit einer Regierung, der Region gewährleistet wird. Wie kann sichergestellt werden, daß die Bevölkerung wirklich ausreichend an den wichtigen Strukturentscheidungen beteiligt und wie die Finanzierbarkeit der einzelnen Aufgaben zu gewährleisten ist.

Gibt es denn keinerlei Tendenz in Ihrer Haltung?

Wir müssen ausgehen von der gegenwärtigen Rechtslage.

Die spricht ja wohl eher für ein Land Groß-Berlin.

Ja, die spricht dafür, auch die Zeitabläufe, mit denen wir beim Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten zu rechnen haben, sprechen für ein Land Groß-Berlin. In der DDR werden wahrscheinlich in diesem Jahr die Länder gebildet und dabei ist die Sondersituation Berlins noch nicht zu berücksichtigen. Das heißt, das das Zusammenwachsen der beiden Teile der Stadt noch nicht zur Bildung eines Landes unter Einschluß von West-Berlin führen kann. Dazu müssen erst die Verhandlungen und die Ergebnisse von Zwei plus Vier (gemeint ist die Deutschlandkonferenz der beiden deutschen Staaten und der Alliierten. d. Red.) abgewartet werden. Meine persönliche Meinung: Ich tendiere zu einer Entscheidung Berlin-Brandenburg aus Gründen der Regionalplanung, der Finanzierbarkeit, aus den Gründen, die in der Bundesrepublik bei den Stadtstaaten schmerzlich diskutiert werden. Dagegen spricht die Sorge, durch das riesige Ballungsgebiet Berlin das gesamte Umfeld zu majorisieren.

Wie steht die CDU in Ost-Berlin zur Länderfrage?

Nach meinem Eindruck sind sie für beide Lösungen offen. Je weiter man von Berlin entfernt ist, in der Mark Brandenburg, desto skeptischer werden die Bürger in Bezug auf eine Lösung Berlin-Brandenburg - auch aus historischen Gründen. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten die Erfahrung gemacht, daß Berlin wie ein Moloch alle Entscheidungen und alle Ressourcen an sich gezogen hat.

Werden Sie sich noch vor den Kommunalwahlen am 6. Mai auf eine Position festlegen?

Ich glaube, das ist nicht notwendig. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat den Vorschlag gemacht, in gemeinsamen Ausschußsitzungen mit der Volkskammer die Frage der Ländergliederung und auch der Verwaltunsgstruktur zu erörtern. Diesen Diskussionen sollte man nicht vorgreifen und sie nicht auf parteipolitischer Ebene entscheiden.

Nun haben Sie aber bis vor kurzem Gesamtberliner Wahlen für den 6. Mai gefordert, und die hätten doch eine präjudizierende Wirkung in Richtung Groß-Berlin.

Das muß nicht sein. Man kann auch gesamtberliner Wahlen durchführen, und dieses Gesamt-Berlin dann in die Mark Brandenburg eingliedern. Wenn man sich die Probleme der Stadt Berlin ansieht, zum Beispiel bei der Müllentsorgung oder der Verkehrsplanung, dann ist es einsichtig, daß Entscheidungen nicht innerhalb der Grenzen Berlins gefällt werden können, sondern für die Region. Diese Entscheidungen könnten auch in einem regionalen Verbund mit den Städten und Gemeinden in der Mark Brandenburg getroffen werden. Die Frage hängt auch davon ab, welche Kompetenzen die Kommunen in der DDR erhalten werden. Wenn diese Kompetenzen nach Vorbild der Bundesrepublik erhalten - und davon gehe ich aus - entfallen viele Argumente für ein Land Berlin.

Sie haben sich lange Zeit für gesamtberliner Wahlen am 6. Mai ausgesprochen. Seit einer Unterredung mit dem SPD -Fraktionsvorsitzenden Staffelt ist von dieser Forderung nicht mehr die Rede. Wann sollten Sie jetzt stattfinden?

So früh wie möglich. Denn es gibt auf östlicher Seite immer noch keinen demokratisch legitimierten Ansprechpartner.

Aber das ändert sich doch in Kürze.

Das ändert sich nach den Kommunalwahlen nur graduell, denn duch die zwei Verwaltungen besteht allzu leicht die Möglichkeit, daß die demokratischen Kontrollmöglichkeiten ausgespielt werden können. Dazu kommt, daß sich vieles in Berlin in den Regionalausschuß verlagert hat, der andere demokratische Kontrollen braucht als im Moment.

Wann werden die Wahlen denn nun stattfinden - noch in diesem Jahr?

Ich halte das für möglich. Für realistisch halte ich es unmittelbar nach den Entscheidungen Zwei plus Vier. Für sicher halte ich sie im nächsten Jahr.

Sie haben vor kurzem die Direktwahl der Berliner zum Bundestag für eine Nebensache erklärt, obwohl die CDU doch früher immer dafür war. Wie erklären Sie es den Berlinern, daß sie möglicherweise als einzige nicht an nationalen Parlamentswahlen teilnehmen dürfen?

Im Augenblick ist die wichtigste Zielsetzung deutscher Politik der Abschluß der Verhandlungen Zwei plus Vier und damit der Weg zur deutschen Einheit. Alle anderen Themen sind Vor- oder Nebenthemen. Ich würde es nicht für glücklich halten, wenn Berlin die einzige Region ist, in der keine freien Wahlen zu einem zentralen Parlament stattfinden, aber ich gehe davon aus, daß wenige Monate danach gesamtdeutsche Wahlen stattfinden. Insofern teile ich nicht die Aufgeregtheit um die Diskussion des Senats. Für mich geht es darum, ob ich mich im Augenblick mit der Sowjetunion um ein Thema streite, das in einem Jahr der Vergangenheit angehört.

Das gilt aber in einer Übergangsphase wie der jetzigen für die meisten Politikfelder.

Das ist völlig richtig. Wir sind aus meiner Sicht nicht mehr in einer Phase, in der wir Schritt für Schritt Politik der kleinen Schritte verwirklichen müssen. Aber, kein Zweifel, wenn es ohne Belastung der Verhandlungen Zwei plus Vier möglich ist, die Direktwahl zu erreichen, werde ich das begrüßen. Meine Partei bereitet sich auch konsequent auf eine solche Entscheidung vor, mit den nötigen Satzungsänderungen.

Wenn die rot-grüne Koalition platzt, ist die CDU dann bereit, eine große Koalition mit der SPD einzugehen, oder sind Sie für Neuwahlen?

Das bessere wären Neuwahlen.

Wenn es dann keine klaren Mehrheiten gibt, wird sich die Koalitionsfrage trotzdem stellen.

Vor dem Hintergrund des Wahlergebnisses im Ostteil der Stadt und den vielen großen Problemen, den notwendigen riesigen Anstrengungen im Wohnungsbau in Ost- und West -Berlin, vor dem Hintergrund, in einer Stadt mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen arbeiten zu müssen zumindest für eine kurze Zeit - darf man die Zusammenarbeit zwischen großen Parteien im Sinne von Stabilität nicht ausschließen.

Das heißt, unter gewissen Bedingungen wären Sie zu einer großen Koalition bereit?

Sie wissen, daß jede Aussage dafür oder dagegen im Moment zu Mißverständnissen führt. Deswegen sage ich nur, ich kann das nicht ausschließen in Anbetracht der Mehrheitsverhältnisse und der Sachprobleme.

Was empfehlen Sie der CDU in Ost-Berlin - dort wird sich die Koalitionsfrage ja möglicherweise sehr bald stellen.

Ich habe nach dem Wahlergebnis vom 18. März empfohlen, eine breite Mehrheit zu suchen. Das würde ich auch im Ostteil der Stadt tun.

Interview: Kordula Doerfler