Goliath gegen David?

Zum Verhältnis von Regierung und Opposition in der DDR  ■ K O M M E N T A R E

Der politische Umbruch in der DDR hat mit der Wahl der neuen Regierung einen ersten Abschluß gefunden. Daß die alte Einparteiendiktatur nun durch eine Regierung abgelöst wird, die aus sieben Parteien besteht, und über eine Dreiviertelmehrheit im Parlament verfügt, ist mehr als ein Schönheitsfehler. Eine so überbreite Mehrheit birgt eine doppelte Gefahr in sich: daß die Regierung selbstgefällig wird und daß die politischen Konflikte um des Machterhalts willen unter den Teppich gekehrt werden. Gerade in einem Land mit der politischen Geschichte der DDR und mit den existientiellen Fragen, die dort jetzt entschieden werden müssen, wären Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Beteiligung der Öffentlichkeit an der Auseinandersetzung die dringendsten Gebote. Daß die Koalitionsvereinbarung veröffentlicht wurde, ist ein lobenswerter Schritt zu Transparenz. Um ihre Einhaltung zu kontrollieren - etwa im Bereich der Abrüstung oder der sozialen Sicherung der DDR -Bürger - wäre eine wache und kritische Öffentlichkeit notwendig.

Doch in dieser Vereinbarung hat man sich gleichzeitig auch auf Koalitionsdisziplin geeinigt. Wenn das bedeuten sollte, daß Auseinandersetzungen, wie sie innerhalb des politischen Spektrums von SPD bis DSU zwangsläufig stattfinden, nur hinter verschlossenen Türen ausgetragen werden, wäre das für die weitere Entwicklung der politischen Kultur in der DDR fatal.

In dieser Situation wächst der Opposition besondere Bedeutung zu. Doch die stärkste Oppositionspartei, die PDS, verfügt zwar über einige brillante Köpfe, aber sie spricht vor verstopften Ohren. Daran wird sich so schnell nichts ändern. Das Wegbügeln von Argumenten unter Verweis auf die Vorgeschichte dieser Partei, ist zur Zeit eine bequeme Methode, sich sogar berechtigte Kritik vom Halse zu halten. So liegt fast die ganze Last der Oppositionsrolle auf den im Bündnis 90 zusammengeschlossenen Bürgerrechtsorganisationen. Ihnen fehlt es an numerischer Stärke, doch sie haben moralisches Gewicht. Daß sie dieses Gewicht auch einzusetzen verstehen, haben sie in der letzten Volkskammersitzung gezeigt. Gelingt es dem Bündnis 90 die Oppositionsrolle auszufüllen, so würde es damit etwas leisten, was die Grünen im Bundestag und diejenigen, die ihnen zuhören, inzwischen kaum mehr schaffen: in Debatten dem inhaltlich begründeten Argument Gewicht zu verschaffen. Das wäre ein bedeutender Beitrag zu einem künftigen gesamtdeutschen Parlament.

Walter Süß