Neuer Feind im Fadenkreuz

■ Das plötzlich erwachte Interesse der Weltmächte am Irak

Bis zum Ende des Golfkrieges im Spätsommer 1988 galt der irakische Staatspräsident Saddam Hussein uneingeschränkt als enger Bundesgenosse des Westens. Mahnende Fingerzeige auf die Höhe der Leichenberge, die der 1979 an die Macht gekommene Hussein auf seinem Weg in die irakische Despotie auftürmte, blieben lange unbemerkt. Auch die Sowjetunion, ebenfalls altgedienter Waffenlieferant Bagdads und in steter Sorge vor einem Überschwappen des islamischen Fundamentalismus iranischer Provenienz ins eigene Land, mochte sich nicht zu Kritik an dem solventen Kunden aufraffen.

Doch seit dem Ende des Golfkrieges hat sich manches verändert. Der Ost-West-Konflikt hat an Bedeutung verloren, und die wechselseitigen Feindbilder von Nato und Warschauer Pakt sind nur noch bedingt tauglich, neuerliche Aufrüstungsbestrebungen zu legitimieren. Daß bei der einsetzenden Feindbildsuche gerade der Irak ins Fadenkreuz des Westens geriet, kann nicht verwundern. Saddam Hussein hat tatsächlich einen geradezu pathologischen Waffen-Wahn entwickelt. Einige prominente arabische Politiker vermuten in der Kritik an Bagdad jedoch eine globale Stoßrichtung. Zwar spreche der Westen - wie unlängst das Pentagon nur von einer irakischen Bedrohung, meine jedoch eine arabische, vielleicht sogar eine islamische.

Saddam Hussein wittert nun seine Chance, sich als der Vollstrecker der panarabischen Träume eines Abdal Nasser zu gerieren. Über mangelnden Erfolg kann er bisher nicht klagen. Denn - obwohl einer der weltweit grausamsten Diktatoren - wird Saddam Hussein von vielen Arabern bewundert. Ihnen, die sich von ihren westlichen Verbündeten zunehmend im Stich gelassen fühlen, scheint der irakische Despot der einzige arabische Führer zu sein, der seine Stimme gegen Israel erhebt und arabische Positionen vertritt. „Wenn“, so das in Abu Dhabi erscheinende Blatt 'Al -Ittihad‘, „Israel sich ein atomares Waffenarsenal zulegt, schweigt Amerika natürlich, weil es Israel damit versorgt. Wenn aber Araber das gleiche tun, ist das Geschrei groß.“

Vor allem in Kairo sorgt diese Entwicklung für Unruhe. Zwar wurde Ägypten kürzlich wieder als Vollmitglied in die Arabische Liga aufgenommen, doch im Kampf um die arabische Hegemonie sind dem moderaten Hosni Mubarak durch den Separat -Frieden mit Israel weitgehend die Hände gebunden. Die westlichen Anklagen gegen den Irak sind daher auch als Versuch zu werten, das Ruder im Kampf um die arabische Vorherrschaft zugunsten Ägyptens herumzureißen.

Walter Saller