Lettlands orthodoxe KP macht mobil

Die Mehrheitsfraktion der gespaltenen Kommunisten gebärdet sich konservativer als Moskau / Sie behindert das Erscheinen der Zeitungen der Volksfront und der lettischen Kommunisten  ■  Aus Riga Ojars Rozitis

Die Spaltung der lettischen Kommunisten war am letzten Wochenende schon vorgezeichnet. Als 264 von 791 Delegierten den XXV. Parteitag verließen, signalisierte dies nicht nur den Zusammenbruch der Staatspartei, er zeigte auch den Verlust ihrer ideologischen Fundamente an: Die Spaltung vollzog sich zunächst entlang nationaler Fragen. Doch auch in rein politischen Fragen haben sich die Wege getrennt.

Zwar will die Minderheitsfraktion den Kongreß am nächsten Wochenende fortsetzen und bei dieser Gelegenheit nach litauischem Vorbild den organisatorischen Bruch mit der KPdSU vollziehen, doch werden vielen ihrer führenden Köpfe auch schon sozialdemokratische Neigungen nachgesagt.

Die Mehrheitsfraktion hingegen hat bereits ein eigenes Zentralkomitee gebildet und zu dessen ersten Sekretär Alfred Rubiks bestimmt, den erst jüngst abgewählten Bürgermeister Rigas. Diese Entscheidung ist ein Affront gegen den lettischen Bevölkerungsteil: Bei einer repräsentativen Umfrage, die im Februar durchgeführt wurde, erreichte Rubiks auf einer Mißtrauensskala von 0-100 unter den Letten einen Wert von 82,5, knapp überflügelt von zwei führenden Gestalten der Interfront, die wortgewaltig für die angeblich bedrohten Rechte des nichtlettischen Bevölkerungsteils eintreten - ein „Trio infernale“ konservativer kommunistischer Politik.

Einen Affront leistete sich die Mehrheitsfraktion aber auch in Richtung Moskau. Im Vorfeld des Parteitages hatte nämlich das alte ZK der KP Lettlands eine Plattform erarbeitet, auf der die auseinanderstrebenden Flügel der Partei zu einem Kompromiß finden sollten; dieses Papier war vom Politbüro der KPdSU im voraus als Diskussionsgrundlage abgesegnet worden. Zum Auszug der Reformer kam es aber, als die Mehrheitsfraktion selbst diese Plattform ablehnte und sich damit als konservativer als die Moskauer Führung erwies.

Mittlerweile hat die moskautreue KP Lettlands bereits ihre Muskeln spielen lassen: Die von den konservativen Kräften beherrschte Parteiorganisation in Riga verfügte am 4.April, also unmittelbar vor dem XXV. Kongreß, daß das Erscheinen der hauptstädtischen Abendzeitung 'Rigas Baiss‘ bis auf weiteres eingestellt wird. Das Blatt, das von der Parteiorganisation und dem Stadtsowjet gemeinsam herausgegeben wird, habe, wie es in dem Beschluß heißt, Entscheidungen der Parteiorganisation mißachtet und sei „offen gegen die ideologisch-politische Linie der KPdSU aufgetreten“. Ferner wird der Zeitung vorgeworfen, sie veröffentliche „systematisch falsche, manchmal sogar verleumderische Beiträge über die Tätigkeit und die Führung der städtischen Parteiorganisation, wie auch über solche Bewerber für die Wahlen zum Obersten Sowjet, die die Plattform der KPdSU vertreten“. Kurzum: Das Blatt habe die Positionen der Partei verlassen und unterstütze eindeutig die radikalen Kräfte in der Volksfront. Einer der Mitunterzeichner dieses Beschlusses ist der bereits erwähnte Alfred Rubiks.

Es gilt als so gut wie sicher, daß die einzige unabhängige überregionale Zeitung Lettlands von den Konservativen eingestellt werden wird: Das Wochenblatt der Volksfront, 'Almoda‘, das zwar nicht vom ZK-Verlag herausgegeben, aber in dessen Druckerei hergestellt wird.

Aber auch die Komsomol-Tageszeitung 'Latvijas Jaunatne‘ („Die Jugend Lettlands“) steht auf der Abschußliste. Bereits am 25.August 1989 hatte sich das Blatt von der früher obligatorischen Titel-Parole „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ verabschiedet, und zum Jahreswechsel warf es auch seinen alten Titel über Bord, nämlich 'Padomju Jaunatne‘ („Sowjetjugend“). Seitdem steht die Zeitung auch unter einem neuen Motto: „Vereint für Lettland“ - seit Ende März ist diese Zeile auf Litauen und das Baltikum ausgeweitet worden.

Für Lettland lautet die zentrale politische Frage der kommenden Wochen: Was wird geschehen, wenn der neugewählte Oberste Sowjet der Republik mit einer Volksfront-Mehrheit Anfang Mai eine Unabhängigkeitserklärung verabschiedet, sich jedoch mit einer KP konfrontiert sieht, die mehrheitlich gegen eine Souveränität Lettlands ist? Wird die Streichung des Machtmonopols der KP, wird die von Gorbatschow eingeleitete Trennung von Staat und Partei jene konservativen Kommunisten in die Schranken weisen können, die entschlossen sind, dem offenkundigen Wunsch der Bevölkerungsmehrheit nach staatlicher Unabhängigkeit und Demokratie massiven und blindwütigen Widerstand entgegenzusetzen?