Heimkehr der verlorenen Söhne

■ Religiöse Frühlingsgefühle im verendenden Corpus DDR

Seit Ewigkeiten konnte kein Papst mehr so selbstzufrieden seinen Ostersegen den auf dem Petersplatz und vor den Bildschirmen der Welt versammelten Gläubigen spenden. Und wohl noch nie erreichte ein „urbi et orbi“ so viele Ohren. „Die Welt begreife wieder, daß der Mensch ohne Gott nicht leben kann.“ Johannes Paul II., der Oberhirte aus Polen, hat schon heute alle in seine Person gesetzten Erwartungen erfüllt. Von den Kardinälen zu einer Zeit auf den Thron Gottes gehoben, als die Welt durch den Starrsinn der Blockwarte in Ost und West ihrem Ende entgegen zu taumeln drohte, ist er mit seiner konservativen Restaurationspolitik dem Trend zuvorgekommen. Die leidvollen Erfahrungen seines Volkes, daß politische Ohnmacht oft nur durch religiöse Inbrunst kompensieren konnte, hat er so weit verinnerlicht, daß der umgekehrte Zirkelschluß aus seinem Munde nicht an Überzeugungskraft entbehrt.

Mit dem Bankrott der realsozialistischen Gesellschaftsmodelle und der Schwachbrüstigkeit der sie reformieren wollenden Utopien ist ein Ideologievakuum entstanden, in dem neben den gefährlich nationalistischen auch religiöse Botschaften neue Adressaten finden. So begrüßt Johannes Paul die eingemeindeten Völker des Ostens, die „nach den Schrecken zweier Weltkriege, nach den Jahren der Diktaturen, die den Menschen seiner Grundfreiheiten beraubt hatten, jene wahren Dimensionen des Geistes“ wiederentdecken, „welche die Kirche seit jeher fördert“. Und in den Adlershofer Studios des (DDR-) Deutschen Fernsehfunks bemüht sich das gewendete AK-Team des Papstes Worte zu illustrieren. Im besten Politbüroverlautbarungsstil verkündet eine in die Jahre gekommene Frau Unterlauf endlos Christliches aus aller Welt: Ostern in Rom, Sofia, Nowgorod und in der Lausitz, ein Frühlingserwachen wie nach dem Abzug der Tartaren.

In den Kirchen des Landes wetteifern die Prediger um die treffensten historischen Analogien. In Erfurt gar ist für Bischof Wanke der Mauerdurchbruch des 9.November so folgenschwer wie der Opfertod Christi. Die Grenzöffnung als Pendant zur Osterbotschaft, so bleibt Schabowski, aller Würden enthoben, noch die Hoffnung auf Heiligsprechung. Doch auch die neuen Politiker üben sich in dem „zeitgemäßen“ Ritus, vor dem Gang ins Parlament, der in die Kirche und schließlich unterm Ährenkranz das „so wahr mir Gott helfe“. Die Selbstauflösung der anderen deutschen Republik vollzieht sich gottesfürchtig in einer fast vergessenen Liturgie. Vom Katzenjammer in die Demut getrieben bleibt dem Land und seinen machtlosen Nachlaßverwaltern nur die Stärke vor Gott.

Andre Meier