Jüdischer Weltkongreß tagt im Haus der Endlösung in Berlin-Wannsee

Gespräch mit Prof. Dr. le Winter, vom 'Unabhängigen jüdischen Magazin SEMIT‘  ■ I N T E R V I E W

taz: Welche Gedanken bewegen Sie angesichts der Konferenz an diesem Ort?

Prof. le Winter: Zum 6. Mai wird der 'SEMIT-international‘ als Extraausgabe erscheinen. Das ist der Tag, an dem der jüdische Weltkongreß im „Haus der Endlösung“ in Berlin -Wannsee tagen wird. Makaber, daß eine jüdische Organisation in einem Haus tagt, in dem die Endlösung, das bedeutet der Mord von 6 Millionen Juden beschlossen wurde. Ich denke, eine solche Tagung an einem solchen Ort könnte wohl nur Herrn Kohl entgegenkommen. Die Geschichtsschreibung würde verändert, wenn dieses Haus umfunktioniert wird in eine ganz legitime Tagungsstätte, etwa unter dem Motto: „Da haben die Juden doch auch getagt“. Wir sind der Meinung, daß die Villa am Wannsee als ein Mahnmal des Grauens und des Schreckens erhalten bleiben muß und nicht in einen Ort der Versöhnung umfunktioniert werden darf. Wenn es um Versöhnung geht, dann auf keinen Fall in Berlin-Wannsee.

Sie erwähnten Herrn Kohl, der anscheinend die Geschichtsschreibung verändern möchte. Dabei ist ihm ja der 9. November 1989 so gut wie in den Schoß gefallen.

Ja wissen Sie, ich bin sogar bereit in meiner Berufsparanoia als Psychoanalytiker zu unterstellen, daß es vielleicht gar nicht so ein Zufall war. Plötzlich ist der 9. November kein Gedenktag mehr für NS-Verbrechen an den Juden, sondern ein Tag, an dem sich jeder freuen soll, daß Deutschland wieder vereint sein kann. Man hat mich schon öfter gefragt, ob ich Bedenken gegen Wiedervereinigung oder Vereinigung hätte, was ich verneinte. Inzwischen habe ich jedoch Bedenken dagegen, wie diese Einheit von Kohl & Co. betrieben wird. Ich glaube, daß nicht nur die Menschen in der DDR betrogen werden. Auch die deutsche Geschichte, zu der ja der nicht unwesentliche Teil von 1933 bis 1945 gehört, soll dadurch verändert werden. Betrug also auch hier! Ich denke, mit den Gedanken der „Gnade der späten Geburt“, worauf sich Kohl so gerne beruft, wird viel Schindluder getrieben. Damit wird die Geschichte verfälscht und verleugnet.

Die „Neue Wannsee-Konferenz“ soll nun also Anlaß genug zu einer Sonder-Ausgabe des 'SEMIT‘ sein?

Nein. Die Sonder-Ausgabe wäre auf jeden Fall erschienen. Wir bemühen uns aber, sie bis zu diesem Termin, dem 6. Mai, herauszubringen. So wie der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Herr Edgar Miles Bronfman, mit seiner geplanten Konferenz einen Akzent setzen will, wollen wir es unter entgegengesetzten Vorzeichen tun. Das erscheint uns als sehr wesentlich, denn was Herrn Bronfman betrifft, so wird erzählt, daß er sich auf Heidrichs Sessel setzen wird. Welch ein Gedanke. Anzunehmen ist aber, daß er dabei keine schwarze Uniform tragen wird. Zu hoffen ist, daß das ganze wirklich nur ein Gerücht ist.

Das Gespräch führte Peter Poprawa