Für ein „entrüstet Vaterland“

■ Nur wenige OstermarschiererInnen in beiden Teilen Deutschlands

Der erste gemeinsame Ostermarsch DDR/BRD hatte die Erwartungen hoch gesetzt. Mindest die TeilnehmerInnenzahlen der früheren Jahre hätten überschritten werden können. Doch in vielen Orten waren es wohl nur die ewigen FriedenskämpferInnen, die es wieder auf die Straßen, zu Blockaden der Militäreinrichtungen und Friedensgottesdiensten zog. Noch am Ostersamstag stimmten Zahlenangaben von einigen Dutzend, bis zu wenigen Hundert und manchmal knappen Tausend, die von den verschiedensten ost- und westdeutschen Orten gemeldet wurden, wenig erbaulich.

Berlin erlebte den ersten grenzüberschreitenden Ostermarsch. Vom Monbijou-Park zogen die Demonstranten mit dem Spruch: „Für Solidarität und Entmilitarisierung - Berlin ohne Militär“ über die Grenze in Richtung Herrmann-Platz.

Neben dem Berliner Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Dr. Peter Kirchner, Pfarrer Friedrich Schorlemmer (SPD) fanden VertreterInnen vom Neuem Forum und dem Westberliner DGB Worte zur diesjährigen Osterbotschaft. Zwar quoll der Monbi nich über vor Menschen, doch schwoll der Marsch dann doch beachtlich an. Dort trafen sie sich wieder: die immer noch DDR-BürgerInnen, die Ehemaligen und die, die schon seit eh und jeh im Westen gelebt hatten. Nach meinen Schätzungen waren wir 15 bis 20 Tausend, die offiziellen Veranstalter sprachen von 15.000 und die Polizei drückte die Zahl wie immer herunter auf 10.000.

Die Hälfte muß wohl aus dem Osten gekommen sein, denn die trotzig hochgehobene, als wärmender Schulterumhang oder als Halstuch drapierte DDR-Fahne, war nicht zu übersehen. Zum Teil war sie mehr oder minder eigenschöpferisch weiterentwickelt worden und trugen die wohl vertrauten Zeichen „Schwerter zu Pflugscharen“ oder auch die durchgestrichene Rakete („gegen NATO-Raketen“ - Wer erinnert sich nicht?).

Der Grenzdurchgang war kaum zu spüren, niemand zuckte auch nur mit der Hand nach Ausweis oder Paß. DDR-Grenzer und Westberliner Polizei hatten auch genug mit Eigenunterhaltung zu tun, nach dem Motto: „Hättest du das vor einem Jahr gedacht?“

Tja, ich auch nicht, aber da waren die OstermarschiererInnen schon in der Oranienstraße und freuten sich über die türkischen Beifallskundgebungen. Zum Hermannplatz war es dann nicht mehr lang, doch kaum angekommen, zog es nach den ersten Regentropfen dann doch viele gleich in die U-Bahn. Die Kernsätze der folgenden Reden waren ja nun wirklich bekannt, zur Not in der Zeitung nachzulesen und kalt wurde es auch.

Eine Frage drängte sich mir angesichts wehender SPD-Fahnen denn doch auf: War dies eigentlich mit den Koalitionspartnern abgesprochen?

Auch in den anderen Teilen der DDR und der BRD fanden am Sonntag Aktionen statt. Im Mittelpunkt standen dabei die Forderungen nach Auflösung der Militärblöcke, der Verzicht auf das Projekt „Jäger 90“.

In Halle, Karl-Marx-Stadt und Frankfurt an der Oder gingen Ostermarschierer für ein entmilitarisiertes Deutschland auf die Straße.

In Stuttgart-Möhringen, wo Ostermarschierer vor der neuen Daimler-Benz-Hauptverwaltung gegen Rüstungsproduktion demonstrierten, zählten Beobachter rund

300 Menschen. Demonstrationszüge führten die Gruppen aus Hessen und Thüringen quer durch das militärisch sensible Gebiet entlang der „Noch„-Nahtstelle von NATO und Warschauer Pakt in Ost-Hessen und West-Thüringen. Den Abschluß dieser grenzüberschreitenden Aktion bildete eine Kundgebung vor dem US-Beobachtungsposten „Point Alpha“ bei Rasdorf. RednerInnen forderten hier eine Entmilitarisierung des Geländes. Zum Nachdruck der Forderungen wurde der Grundstein für ein internationales Begegnungszentrum gelegt.

Ostermärsche fanden auch im Ruhrgebiet statt, wo mehrere Hundert TeilnehmerInnen im Anschluß an einen Gottesdienst von Essen nach Bochum zogen. Aktionen gab es auch auf den Nordsee-Inseln Amrum und Föhr. Bei einer Demonstration am Militärflugplatz in Mainz-Finthen setzten sich die TeilnehmerInnen für den Verzicht für die geplante Stationierung von Hubschraubern ein. Die Aktivitäten in Bayern konzentrierten sich am Sonntag auf einen Ostermarsch in Traunstein.

Die OstermarschiererInnen in der DDR forderten vor allem konkrete Abrüstungsschritte, wie den Verzicht auf Wehrpflicht. Für eine Welt ohne Waffen gingen Friedensfreunde in Erfurt auf die Straße. Zu ihnen hatten sich VetreterInnen von Friedensgruppen aus Giessen und Mainz gesellt. Etwa 5.000 BürgerInnen forderten mit einem friedlichen und gewaltfreien Marsch zum Truppenübungsplatz Klietz im Bezirk Potsdam die Beseitigung desselben sowie Sofortmaßnahmen zur Rekultivierung und Aufforstung des ehemals geschlossenen Waldgebietes und seine Umbenennung in ein Naturschutzgebiet.

In Dresden standen Vetreter von Initiativen und Gruppierungen unterschiedlicher politischer Couleur den BürgerInnen Rede und Antwort. Zu diesem Friedensboulevard auf der Straße der Befreiung hatte die Sächsische Friedensinitiative aufgerufen.

Zu einem Friedenscamp in der Nähe des sowjetischen Hubschrauberstützpunktes Nohra bei Weimar kamen leider nur einige Dutzend vorwiegend jugendliche DemonstrantInnen. Sowjetische Offiziere, die mit ihren Familien in das Camp der Rüstungsgegner eingeladen wurden, sprachen sich dort für ein neutrales Deutschland aus.

Zuvor waren die TeilnehmerInnen nach Buchenwald marschiert, wo sie sich für einen sinnvolleren Einsatz der Rüstungsgelder aussprachen.

Im Neubrandenburger Ortsteil Fünfeichen gedachten die TeilnehmerInnen des Marsches am Samstag der Opfer des ehemaligen Kriegsgefangenen- und späteren NKWD-Lagers.

M.K./dpa/adn