Abgehalfterte Zugpferde

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(Kilometer 330, So., 17.50 Uhr, RTLplus) Volksmusik gab es überreichlich an diesem Wochenende, Nachwehen des Booms, den die Heimatklänge im letzten Jahr sogar unter sehr jungen Leuten erfuhren. Ich weiß nicht, was diese Nachgeburten an Figuren wie den „Wildecker Herzbuben“ finden, die aussehen wie fleischgewordene Deix-Karikaturen. Weil „deutsche Country- und Truckermusik“, so der Untertitel von Kilometer 330, mit der echten Countrymusik soviel zu tun hat wie ein Trabi mit einem Truck, paßte diese RTL-Sendung ganz gut ins volkstümliche Programm.

Das gemeinsame Musizieren scheint bundesdeutschen Freizeitcowboys Anlaß genug zu sein, nicht nur zur Karnevalszeit im Kostüm umherzulaufen. Der Moderator und Sänger Jonny Hill präsentierte sich in Glitzerjäckchen und blauter Igitt-Lederhose; große Hüte waren Pflicht. Als Musik gab's mitklatschgeeignete Pedal-Steel-Schlager im ewiggleichen Humba-Rhythmus, der seit den Reeperbahn-Cowboys Truckstop oder dem eher dem Trecker- als dem Truckermythos entsprechenden Gunter Gabriel in Deutschland fälschlicherweise als Countrymusik gilt. „Einmal im Leben nach Nashville“ wollten die mit Kölnisch Wasser getauften Jungs, weil sie mal irgendwas von Dave Dudley, Bobby Bare und Johnny Cash gehört haben. „Ich träum‘ von Nashville“, stimme Tina Rainford zu, und auch sie weiß nicht, daß sich in dem von einer geschäftstüchtigen Mafia aus Plattenfirmen, Agenten, Musikverlagen etc. beherbergten Eldorao der Countrymusic keimfreie Retorten-Stars Swimmingpools in Gitarrenform bauen lassen und auch sonst im plüschigen Kitsch schwelgen, daß es dem echten Viehtreiber ein einziges Grauen ist. Gastgeber Hill, für den Frauen und Motorräder gleichermaßen „Dinge“ zur abenteuerlichen Freizeitgestaltung zu sein scheinen, besang dagegen die Mutter seiner Kinder. Abgehalfterte Zugpferde wie der Westernstar Ralf Paulsen und Renate Kern alias Nancy Wood durften ihr Gnadenbrot verdienen. Die Dame berichtete wieder einmal leuchtenden Auges von ihren Amerikaerfahrungen; ihr breiter Truckerhintern ist aber so ziemlich das Authentischste an ihrer peinlichen Selbststilisierung.

Um's kurz zu machen: Was von den Rhinestone-Cowboys aus Nashville bereits zum substanzlosen, aber chartsträchtigen Derivat verwässert wurde, ist im nochmaligen Verschnitt bundesdeutscher NachahmerInnen endgültig ungenießbar geworden. Und zu dieser ganzen korrupten Schamlosigkeit lieferte ein Ballett, im Rang vergleichbar mit der Jazztanzgruppe des Tischtennisclubs von Traben-Trabach, eine Darbietung, die wohl so etwas wie eine Travestie auf den French Cancan darstellen sollte. Schaurig, schaurig, schaurig...

Herr Dittmeyer