Neue Nato-Aufrüstung im Südwesten

Amerikaner wollen Lahrer Nato-Flughafen ausbauen / Etliche militärische „Infrastrukturprojekte“ in Baden-Württemberg / Bauvorhaben stoßen auf Widerstand / SPD und Grüne wollen Druck machen für konkrete Abrüstungsschritte  ■  Aus Stuttgart Erwin Single

Kaum sind auf dem südbadischen Nato-Fliegerhorst Lahr die Baumaschinen verschwunden, wird offensichtlich schon der weitere Ausbau des hauptsächlich von der kanadischen Luftwaffe benutzten Militärflugplatzes geplant. Dort soll ein US-Gefechtsstand für eine ABC-Abwehrstaffel entstehen und später ein US-Tanklager folgen - das vermuten nicht nur die südbadischen Grünen. Bereits 1989 wurden in Lahr die Startbahn samt 500 Meter „Überrollstrecke“ verlängert und neben der „Autobahn-Notlandepiste“ auf der benachbarten A5 zwei großflächige „Parkplätze“ als „Auslauffläche“ angelegt

-vermutlich samt Betankungsschächten und ähnlichen unterirdischen Versorgungseinrichtungen. Diese „Aufrüstung auf Nato-Standard“ hatte rund 20 Millionen DM verschlungen; die Infrastruktur für die ABC-Staffel und das Tanklager soll weitere 8 Millionen Dollar kosten.

Von Grünen und SPD auf die Bauvorhaben der amerikanischen Streitkräfte angegangen, verwies Lahrs Oberbürgermeister Dietz auf den kanadischen Standortkommandanten Macdonald. Der hatte erklärt, es gebe keine Pläne für eine ABC-Einheit; die „kleineren“ Baumaßnahmen dienten lediglich zum Erreichen des Nato-Mindeststandards sowie zum Schutz von Personal und Ausrüstung. Die Grünen indes verweisen auf Informationen des Starnberger Forschungsinstituts für Friedenspolitik, die sich auf Quellen des US-Kongresses und den Unterausschuß des Streitkräftekomitees beziehen.

Der Ausbau des Lahrer Nato-Flughafens ist jedoch nur eins von vielen Aufrüstungsprojekten in Baden-Württemberg. In Offenburg wollen die Franzosen neue Bunker anlegen. In Herbolzheim hat die Bundeswehr Bauarbeiten für ein Gerätedepot öffentlich ausgeschrieben - für 45 Millionen DM. Bei Emmendingen wollen die Kanadier im Wald ein neues Munitionslager bauen; ein weiteres Munitionsdepot ist in Pforzheim vorgesehen.

Noch vor dem 9. November hatte Grünen-MdB Alfred Mechtersheimer vom Starnberger Institut ein Papier zur fortschreitenden Militarisierung im Südwesten vorgelegt, in denen über 220 begonnene und anstehende militärische Baumaßnahmen der US-Streikräfte und der Bundeswehr seit 1987 aufgelistet wurden. Kern der militärischen Aufrüstung: „Das Nato-Infrastrukturprogramm mit seiner Finanzierung von Fliegerhorsten, Nato-Pipelines, Einrichtungen für Verstärkungstruppen, Kriegshauptquartieren, Kommunikations und Flugabwehrsystemen“, so Mechtersheimer, schlägt in Baden -Württemberg „in seiner militärischen Funktion als Nachschublager, Fernmelde- und Führungszentrum“ besonders zu Buche. Ein Schwerpunkt der laufenden Infrastrukturprojekte ist beispielsweise die Instandsetzung und der Ausbau eines Nato-Pipeline-Netzes. Entsprechende Tanklager in Heilbronn, Boxberg, Aalen, Tübingen, Kehl und Bremgarten sollen ausgebaut, die alten Pipelines erneuert und Anschlußleitungen nach Bayern und Rheinland-Pfalz gelegt werden.

Wer nach den Veränderungen in Osteuropa auf schnelle Abrüstungsschritte gesetzt hatte, sieht sich angesichts der neuen Bauvorhaben getäuscht. Allein im Bonner Haushalt seien für den Bau militärischer Anlagen rund 1,7 Milliarden DM vorgesehen und zum Großteil bereits vergeben, erklärte Mechtersheimer. Offenbar habe das Verteidigungsministerium das dringender für andere Aufgaben benötigte Geld in einer Art „Torschlußpanik“ schnell ausgegeben.

Auf der Starnberger Liste steht auch die Erweiterung des Luftwaffenstützpunktes Bremgarten. Die Überrollflächen des nur wenige Kilometer vom französischen AKW Fessenheim gelegene Nato- und Bundeswehrfliegerhorstes sollen ebenfalls verlängert werden; darüber hinaus wollen die US-Streitkräfte 18 neue bombensichere Flugzeughallen, sogenannte shelters bauen. Die Pläne kamen erst ans Licht, nachdem der CDU-Landtagsabgeordnete Gundolf Fleischer auf entsprechende Ausbaugerüchte in Stuttgart und Bonn nachgefragt hatte. Auf eine Bundestagsanfrage der Grünen vor einem Jahr hatte das Verteidigungsministerium noch mitgeteilt, eine Erweiterung des im Krisenfall auch für eine zusätzliche Aufnahme von Nato-Verstärkungskräften ausgelegten Flugplatzes sei nicht geplant.

Anstelle eines weiteren Ausbaues der militärischen Infrastruktur verlangen SPD und Grüne nun konkrete Abrüstungsschritte. SPD-Landesvorsitzender Maurer forderte die US-Streitkräfte jüngst auf, mit ihrem Truppenabzug in den Ballungsgebieten zu beginnen, damit die freiwerdenden Areale für den Wohnungsbau und andere städtebauliche Projekte genutzt werden können. Die baden-württembergischen Grünen wollen im Rahmen einer Entmilitarisierungskampagne auf die Diskrepanz zwischen öffentlichen Bekenntnissen zur Abrüstung und fehlenden konkreten Schritten hinweisen. Für den Herbst haben sie Blockadeaktionen gegen Manöverübungen und Rüstungsunternehmen im militärischen Musterländle angekündigt.