Atomtransporte über Wilhelmshaven?

■ Die Atomzunft sucht weiter nach einem Umschlaghafen für Brennelemente für schwedische AKWs / Nach Protesten und Blockaden in Lübeck, Emden und Hamburg haben die Atomiker nun Wilhelmshaven als neuen Umschlagplatz ausgeguckt

Hamburg (taz) - Wilhelmshaven könnte sich in den nächsten Monaten zu einer neuen Atomdrehscheibe entwickeln. Der Atomfrachter „Godewind“ soll künftig bei Siemens (früher: Alkem) in Hanau gefertigte Brennelemente für schwedische Atomkraftwerke in dem niedersächsischen Hafen an Bord nehmen. Inoffiziellen Informationen zufolge wird Ende April oder Anfang Mai der erste derartige Transport aus Wilhelmshaven nach Schweden abgehen.

Bisher wurden die Brennelementetransfers mit der „Godewind“ - zuletzt am 5.April - über den Hamburger Hafen abgewickelt. Seit Anfang 1989 ist das Schiff dort von AtomkraftgegnerInnen mehrfach blockiert worden.

Selbst der Umweltsenator der Hansestadt, Jörg Kuhbier (SPD), hatte die Transporte als „unnötig“ bezeichnet und kritisiert, daß bundesdeutsche Unternehmen Brennelemente über Hamburg nach Schweden exportieren und gleichzeitig umgekehrt schwedische Unternehmen Brennelemente über Hamburg in die Bundesrepublik. Zuletzt konnten die Transporte nur noch unter großem Polizeischutz durchgeführt werden.

Sollte sich Wilhelmshaven als weniger „störanfällig“ erweisen, wird damit gerechnet, daß weitere Atomtransporte nur noch über Friesland laufen werden. Nach Informationen aus der Hafenverwaltung in Wilhelmshaven ist bereits ein Transportantrag für die Lieferung von Brennelementen vermutlich von der Deutschen Bundesbahn - beim Bundesamt für Strahlenschutz gestellt. Die Genehmigung soll in den nächsten Tagen erteilt werden.

Die „Godewind“ transportierte in den vergangenen zwei Jahren im Auftrag der Siemens AG frische Brennelemente und sogenannte Reststoffe (Atommüll) nach Schweden und brachte auf dem Rückweg Urandioxidpulver für das Siemens -Brennelementewerk in Hanau mit. Bis Anfang 1988 waren diese Stoffe noch über die Lübecker Häfen nach Schweden verschifft, dann aber im Zusammenhang mit dem Nukem/Transnuklear-Atomschieberskandal durch Massendemonstrationen und Blockaden verhindert worden.

Wilhelmshaven ist als Umschlagort aus Sicht der Atomunternehmen denkbar günstig. Der betreffende Teil der Hafenanlagen ist nur über eine Schleuse zu erreichen, die zum Marinestützpunkt gehört. Sie ist direkt dem Verteidigungsministerium unterstellt und damit militärischer Schutzbereich.

Willkommen sind die Atomtransporte indes in Wilhelmshaven nicht. Bereits im Spätherbst 1988 wandte sich der Rat der Stadt gegen die risikoreichen Frachten. Fraglich bleibt deshalb, ob die Atomtransporte ungestörter als in Hamburg oder Lübeck abgewickelt werden können. Schon einmal wurden die Atomunternehmen in Ostfriesland vom heftigen Widerstand überrascht, als sie die in Lübeck nicht mehr durchsetzbaren Transporte mit den plutoniumhaltigen abgebrannten Mischoxid -(MOX)-Brennelementen nach Emden verlegt hatten.

Während dort Greenpeace per Schiff die Hafenzufahrt blockierte, demonstrierten Tausende von Menschen im Hafengelände und blockierten die Verschiffung der radioaktiven Fracht.

Dirk Seifert