„Der Mann kann nichts dafür“

■ In dieser Woche stimmen 234.000 Karl-Marx-Städter über den Namen ihrer Stadt ab / Nur die SED-Nachfolge-Partei des Demokratischen Sozialismus verteidigt verhalten die Umbenennung aus der Stalin-Zeit / Für das Marx-Monument will die PDS richtig streiten

„Ich bin eine Chemnitzerin“, sagt die Telefonfrau des Rates der Stadt in Karl-Marx-Stadt. Damit ist klar, wie ihr Votum bei der Bürgerbefragung über den Namen der Stadt ausfällt, die 1953 im Karl-Marx-Jahr zu Ehren des Schul-Meisters des wissenschaftlichen Sozialismus umbenannt wurde. In der Leserbriefspalte der 'Freien Presse‘ ist die Debatte ausgetragen worden, die Parteien haben sich merklich zurückgehalten. So weiß die Telefonfrau nicht, ob es eine politische Kraft in Karl-Marx-Stadt gibt, die für die Beibehaltung des Namens ist. Der Vertreter der Initiative für Chemnitz, Modalek, weiß es: „Die Jugend, die in der Stadt geboren ist“.

Etwas verschämt für den derzeitigen Namen ist immerhin die PDS am Orte. Pressesprecher Michael Drechsler sieht „keinen Grund, jetzt die Umbenennung der Stadt auf die Tagesordnung zu setzen“. Allerdings will man die Entscheidung der Bürger

-Drechsler erwartet eine Mehrheit für den alten Namen akzeptieren.

Am 5. Mai 1953 war die Namensänderung vom Ministerrat beschlossen worden. Aus den Lehr- und Geschichtsbüchern der SED: “..1953 würdigten das ZK der SED und der Ministerrat die ruhmreichen Traditionen der Arbeiterbewegung und die großen Leistungen aller Werktätigen der Stadt und des Bezirkes Chemnitz, indem sie beschlossen, die Arbeiterstadt Chemnitz in Karl-Marx-Stadt umzubenennen.“ Die Mehrheit der Bevölkerung hatte davon erst Ende April 1953 erfahren.

Der PDS-Mann kann immerhin den Umnut über den Namen verstehen: „Die Vergangenheit wurde ja irgendwie mit diesem Namen verbunden.“ So hat die PDS sich öffentlich zurückgehalten. Anders soll das werden, wenn es um das Karl -Marx-Monument im Stadtzentrum geht, dann will die PDS „ganz eindeutig“ Partei ergreifen. Denn: „Man will den Namen Karl Marx weghaben. Aber der Mann kann nichts dafür.“

234.000 Karl-Marx-Städter ab 18 Jahre haben eine Stimmkarte erhalten, bis zum 20. wird gesammelt. Acht Postsäcke mit jeweils schätzungsweise 8000 ans Rathaus adressierten Stimmkarten hat die „Abteilung Bürgerbefragung“ gestern, am ersten Tag der Befragung, von der Post abgeholt.

Wenn die Mehrheit der Einwohner für „Chemnitz“ stimmt, müßte von der Stadtverordnetenversammlung der Antrag an die Regierung gestellt werden, den Ministerratsbeschluß zur Umbenennung vom 5. Mai 1953 aufzuheben.

Der Name Chemnitz kommt von dem slawischen „Kamenici“, was soviel wie „Steinfluß“ heißt, und es deutet auf eine frühe Besiedlung von Sorbenwenden hin. 1127 wurde auf dem Schloßberg ein Benediktinerkloster gegründet und 1165 erfolgte am Ufer des Chemnitzflusses die Stadtanlage. Internationale Bedeutung erlangte Chemnitz im 18. und 19.Jahrhundert durch seine sprunghafte industrielle Entwicklung zur ersten Fabrik- und Handelsstadt Sachsen, zur Stadt des deutschen Maschinenbaues, die als „sächsisches Manchester“ weltbekannt wurde. Am Anfang dieses Jahrhunderts konnte sich Chemnitz durchaus mit Düsseldorf und Frankfurt am Main messen.

Bei der Volkskammerwahl kam die Partei des Demokratischen Sozialismus in Karl-Marx-Stadt auf ganze 11 Prozent, über 40% der Bewohner der Arbeiterstadt stimmten für die Allianz.

K.W.