Manische Intensität

■ Das Trio Gräwe-Reijseger-Hemingway gastierte bei Dacapo

„Freie Musik“ umschreibt vielleicht am besten die zwischen Jazz-Avantgarde und Neuer Musik gratwandernden Klänge, die das Trio Gräwe, Reijseger und Hemingway zelebrieren. Eigen -willig, sperrig, verhalten aber voller Bewegung, filigran aber nicht zerbrechlich, in der europäischen Avantgarde verwurzelt, kammermusikalisch aber nicht akademisch, entfaltete die frei improvisierte Musik der drei schlafwandlerisch zusammenspielenden Musiker eine mysteriöse Sogwirkung. Selten ist ein so feinfühliges Miteinander und Aufeinandereingehen zu hören.

Der Bochumer Georg Gräwe knüpfte am Piano einen schillernd leuchtenden Klangteppich aus

meist perlenden, leichten Linien, durchflochten von ausgefransten Clustern. Ernst Reijseger (NL) am Cello, der vor seinem Übertritt zur Avantgarde beim Amsterdam Concertgebouw Orchestra spielte, entlockte seinem Instrument alle möglichen Laute und ein paar unmögliche Laute dazu: gestrichene Höchsttöne an der Schwelle zum Pfeifen, das Qietschen feuchter Hände auf dem Korpus, swingende Baßlinien, Knarren und Ächzen des malträtierten Stegs und natürlich - singende Linien quer durch alle Register. Hin und wieder griff er zum E-Cello, das er eher wie eine Baßgitarre benutzte, oder präparierte sein Cello mit Klammern und erzeugte

so flimmernde Vibrationen. Gerry Hemingway (USA) bearbeitete sein Drumset vorwiegend gedämpft, oft nur mit bloßen Händen, mit Besen, Lappen oder Schlegeln, trotzdem voller Kraft.

Allesamt virtuos auf ihren Instrumenten begeisterte vor allem das Zusammenspiel. Die auch den ZuhörerInnen Einiges abverlangende Musik entwickelte trotz ihrer Verhaltenheit eine manchmal manische Intensität. Vergleichbar vielleicht einer Gefühlsregung, die sich nicht in lautstarken Tönen Bahn bricht, sondern in der stummen, nichtsdestoweniger beredten Mimik eines Gesichtsausdrucks. Ein brodelnder Vulkan, immer kurz vor dem Ausbruch. Arnaud