Daimler für „strategische Allianzen“ von Weltformat

Unternehmen aus der „Triade“ (EG, Japan, USA) sollen „gemeinsam gültige Werte realisieren“ und die Vorrangstellung der Politik aushobeln  ■  Von Klaus Heidel

Angesichts der großen Hast bei den gegenwärtigen Umstrukturierungen in Osteuropa besteht die Gefahr, daß die kritischen Blicke allein von diesen Veränderungen gebannt werden. Auf dem Weg des raschen Umbaus ist aber nicht allein das sowjetische Hegemonialreich mit seinen Vor- und Hinterhöfen, auch der kapitalistischen Weltwirtschaft scheinen weitreichende Verschiebungen ins Haus zu stehen: „Strategische Allianzen“ und „Triade“ heißen die neuen Schlüsselwörter, und dahinter verbergen sich der beschleunigte Aufbau riesiger Unternehmenskooperationen und

-konglomerate und eine Verlagerung des ökonomischen Gravitationsfeldes der Erde:

Bereits in den siebziger Jahren waren die Eroberungs- und Abwehrschlachten transnationaler Unternehmen auf dem US -amerikanischen Markt ergänzt und teilweise ersetzt worden durch Kooperationen und Fusionen von zunächst japanischen und US-amerikanischen Unternehmen. Anfang der achtziger Jahre fingen dann die bundesdeutschen Konzerne an, sich in großem Maße in die USA einzukaufen und jetzt kommt es zu gewaltigen Dreiecks-Allianzen zwischen den „Multis“ der „Triade„-Länder USA, Japan und der Bundesrepublik und zu einer Verschiebung des Gravitationszentrums hin zur EG, hin zur BRD. An solchen „strategischen Allianzen“ von Weltformat ist nicht zuletzt der größte bundesdeutsche Konzern beteiligt: Daimlers High-Tech-Reuter sucht Synergie-Effekte von Tokyo bis New York:

Am 3. und 4.März trafen sich in Singapur die Führungsspitzen des (noch?) bundesdeutschen Daimler-Benz -Konzerns und der japanischen Mitsubishi-Gruppe, um über Möglichkeiten einer umfassenden Zusammenarbeit auf allen Arbeitsgebieten nachzudenken. Laut Daimler-Chef erfordere die „Globalisierung des Wettbewerbs“ den „Ausbau internationaler Kooperationen“, und dafür wäre das Gespann Daimler-Mitsubishi gut geeignet. Beide Riesen sind in der Automobilindustrie ebenso führend wie in der Luft- und Raumfahrt, in der Rüstungsindustrie wie in der Elektronik und beide ergänzen sich fast ideal, da sich ihre Produktionsbereiche kaum in die Quere kommen: So stellt Daimler zum Beispiel vor allem schwere Nutzfahrzeuge her, Mitsubishi aber eher kleinere LKWs.

Von solchen Kooperationen erhofft sich Reuter Synergie -Effekte und den sicheren Zugang zum japanischen Markt, und die Japaner könnten dafür gelassener einer „Festung Europa“ entgegensehen, ja, mehr noch: mit Daimlers Hilfe Osteuropa von der sicheren „Festung“ aus in den eroberungsfreudigen Blick nehmen.

Aus solchen Gründen hatten beide Konzerne schon seit Mitte der achtziger Jahre behutsame Annäherungsversuche unternommen, die allerdings von Rückschlägen nicht frei waren. So platzte etwa eine für Spanien vorgesehene gemeinsame Produktion von Leichttransportern. Doch schon damals sagte Daimlers Vorstandsmitglied Liener, noch längst seien nicht alle Kooperationsmöglichkeiten ausgereizt. Und dies soll nun künftg bei regelmäßigen Treffen beider Konzernspitzen geschehen. Ob da die „größte Allianz aller Zeiten“ geschmiedet werde, fragte die Wochenzeitung 'Die Zeit‘ erstaunt Mitte März, und in der Tat, was da Verlobung feierte, kann sich durchaus sehen lassen:

Daimler-Benz dürfte 1990 einen Umsatz von fast 85 Milliarden DM erreichen - und würde damit auf den Plätzen sieben oder acht der Hitliste der 50 größten Konzerne der Welt liegen. Noch weitaus größer ist die Mitsubishi-Gruppe, deren Unternehmen nicht über eine gemeinsame Holding, sondern über das Aktienkapital und gemeinsames Management zusammengeschlossen sind. Zu dieser unvorstellbar großen Gruppe gehören 29 Unternehmen mit 360.000 Beschäftigten und einem Umsatz von (1988/89) 420 Miliarden DM. Damit ist die Mitsubishi-Gruppe bereits jetzt mit großem Abstand weltweit Spitze. Und wenn sich beide im Rahmen ihrer „strategischen Allianz“ enger aneinander binden und zum Beispiel zunehmend Töchter und Söhne miteinander verheiraten, dann entsteht mit Abstand das größte Wirtschaftsimperium der Welt. General Motors wäre dagegen nur ein Zwerg...

Doch Daimlers Ziele reichen weit über die Allianz mit Mitsubishi hinaus: „Wir streben auch in den Vereinigten Staaten strategische Allianzen nach dem Muster von Mitsubishi an. Noch in diesem Jahr dürfte es zu umfangreichen Abschlüssen kommen.“ Dies verriet am 22.März Daimlers Finanzchef Liener in New York in einem Gespräch mit bundesdeutschen Journalisten. Schon Ende März war es dann so weit: Daimlers Tochter MTU und Pratt & Witney aus den USA gaben gemeinsame Triebwerkspläne bekannt. Pratt & Witney aber gehört zum US-Riesen United Technologies, der 1989 knapp 35 Milliarden DM Weltumsatz erzielte.

„Kommt es bei den Triebwerken womöglich zu einem weltumfassenden Dreiecksverhältnis Daimler-UTC-Mitsubishi?“, fragte das 'Handelsblatt‘ voller Understatement. Die taz titelte in globalstrategischen Dimensionen: „Die Triade bekommt ihren Konzern.“ Und in der Tat geht es Daimler nicht nur um Kooperationen in Teilbereichen, sondern eben um „strategische Allianzen“. Daß dies so ist und daß dies gut so ist, stellte Konzernchef Reuter selbst in einem bemerkenswerten Aufsatz in 'Die Zeit‘ vom 16.März fest: Der Chef des größten europäischen Rüstungskonzerns verabschiedet die Idee einer militärischen Stabilitätspolitik und begrenzt das Aufgabenfeld der Soldaten auf Paraden bei Staatsbesuchen. Reuter verabschiedet aber auch die Vorrangstellung von Politik, denn er wolle sich nicht „dauerhaft“ auf die Vernunft der politisch Verantwortlichen verlassen, da diese für den Erwerb von „ein paar Stimmprozenten“ mitunter „aberwitzige Verrenkungen“ machen würden.

Solcherart friedensbewußt abgesichert und mit neumodischem antidemokratischen Sentiment ausgestattet verkündet der Daimler-Chef dann seine Idee eines „neuen Netzes für den Frieden“: Allein weltweite wirtschaftliche Partnerschaft sei zur Friedenssicherung in der Lage. Deshalb und aufgrund der Erfordernisse des technologisch-ökologischen Fortschritts seien „stratetische Allianzen“ der transnationalen Unternehmen unabdingbar. Die Politik habe dann lediglich noch die Doppelfunktion, einerseits solche Allianzen zu fördern und andererseits sie für „Stabilitätszwecke nutzbar“ zu machen. So werden die Konzerne in der Botschaft Reuters zu Garanten für Frieden und Fortschritt: „Global ausgerichtete Konzerne“ könnten „innerhalb ihres eigenen Unternehmensverbundes weltweit gültige Werte realisieren und so zu einem sich allmählich selbst aufrechterhaltenden Prozeß zunehmend umweltverträgichen Wirtschaftens beitragen.“ Fazit: „Wir brauchen ein poltiisches Konzept für eine wirtschaftliche Internationalisierung, die unter Einschluß Japans zum tragenden Pfeiler eines neuen Sicherheitssystems für Europa, Rußland und Nordamerika werden muß.“

Die Konzerne als Wolhtäter: Nichts mehr also davon, daß natürlich Unternehmen Märkte erobern und Profitraten steigern wollen. Nichts mehr davon, daß die betriebswirtschaftlichen Interessen der Konzerne noch lange nicht die volkswirtschaftlichen, sozialen und ökologischen der Gesellschaften sind. Wohl kaum zuvor wurde solcherart selbstbewußt der Primat des Politischen verabschiedet und die Dominanz des Ökonomischen nun auch noch zum Primat der Ökonomie aufgewertet: Angesichts des Versagens von Politik in Osteuropa in den letzten vier Jahrzehnten und angesichts der „Erfolgsgeschichte“ der bundesdeutschen Wirtschaft klingen solche Töne für viele verführerisch; das macht sie umso gefährlicher...

Damit aber macht die Verkündigung vom Heilswert solcher Konzerne und ihrer „strategischen Allianzen“ im Rahmen der um Rußland angereicherten „Triade“ eine kritische Auseinandersetzung mit eben diesen Konzernen und ihren „Allianzen“ dringlicher denn je.

Klaus Heidel ist Mitarbeiter der „Werkstatt Ökonomie“, Heidelberg.