Die wahren Gesichter

■ Die DDR-Bürger und ihre ungebetenen Gäste

Was hat die Presse bloß geritten, über eine neue Ausländerfeindlichkeit in der DDR zu palavern? Wer das Land kennt, weiß, daß es eine alte ist. Wer teilt schon gern den Kuchen mit ungebetenen Gästen? Als Anfang der 70er Jahre Polen und DDR-Bürger visafrei zwischen ihren Ländern hin und her pendeln durften, war die Freude ob dieser sozialistischen Errungenschaft zunächst groß. Eröffneten sich doch endlich für viele Reisende neue Urlaubsziele. Schon bald wurde daraus vor allem ein günstiger Einkaufstrip sowohl für Deutsche als auch für Polen. Anfangs belächelten die meisten Bewohner in Grenznähe die Kaufwut der polnischen Gäste, weil sie oft nur Ladenhüter kauften. Der Massenandrang auf die DDR-Überproduktion an Besenstielen ist unvergessen. Doch als Ladenhüter plötzlich knapp wurden, begannen die Einheimischen gegen die ungebetenen Besucher zu wettern. Auf die Idee, daß auch DDR-Touristen in Polen einkaufen, kam schon damals keiner. Die DDRler sahen sich selbst stets als willkommene Gäste im sozialistischen Nachbarland. Und die eigene Kaufwut - Gier nach Kristall und goldbemaltem Porzellan - wurde damit entschuldigt, daß die Polen schließlich daran auch verdienten. DDRler spielten sich lautstark und arrogant als Gönner auf - und zogen nebenbei noch unflätig über die „Pollackenwirtschaft“ her.

Inzwischen richtet sich der Haß ganz allgemein gegen alles Fremdländische. In einem Fachgeschäft in der Berliner Karl -Marx-Allee wollte eine DDR-Bürgerin im September vergangenen Jahres eine Nähmaschine kaufen. Der Verkäufer bat sie ganz unverblümt zu warten, bis er die Vietnamesinnen „rausgeekelt“ hatte: „Für dieses Pack habe ich nichts, die kaufen uns sowieso schon alles weg.“ Sein Angebot: In einen Zug verfrachten und nach Hause deportieren. Damit brachte er das rüber, was in der DDR seit Jahrzehnten im großen Pott auf kleinem Feuer brodelte. Der einzelne Bürger hatte ja Vietnamesen, Kubaner, Afrikaner, Polen nicht ins Land geholt. Das war Politik - und dazu wurde er nicht befragt. Ausländer wurden ihm neben die Tür gesetzt, ohne daß er ihre Gewohnheiten und Eigenarten kannte und kennenlernen konnte. Die Ausländer blieben unter sich - und da sollten sie auch bleiben. Die DDR-Bürger betrachteten sie argwöhnisch aus sicherer Distanz und pflegten ihre Vorurteile. Wäre aber der einzelne Bürger gefragt worden, hätte es auch schon damals mit Sicherheit - ein mehrheitliches Votum gegen den Aufenthalt von Ausländern gegeben.

Jetzt, nach der „friedlichen Novemberrevolution“, kann endlich jeder frei heraussagen, was er schon immer dachte. Und so blickt denn die Öffentlichkeit heute in die wahren Gesichter vieler DDR-Bürger. Daß die Ausländer im Land außerdem noch ein Stück Honnecker-Erbschaft sind, macht sie vielen umso verhaßter.

Soeben hat in der DDR die erste große Auslandsreisewelle Richtung Mallorca und Sizilien begonnen. Da will man - wie gehabt - ganz selbstverständlich gern gesehen sein - und bleibt zu Hause lieber unter sich. Sicher: Nicht alle DDRler krakeelen seit Jahren hinter vorgehaltener Hand gegen ausländische Mitbürger. Manche schämen sich für ihre ausländerfeindlichen Landsleute. Aber sie schämen sich noch viel zu leise.

Bärbel Petersen