Rock gegen das „Stinktier der Erde“

■ Nelson Mandela prägte im Londoner Wembley-Stadion neue und scharfe Formulierungen gegen das Apartheid-Regime in Südafrika / Die Solidaritätsbewegung war glücklich

Berlin (taz) - Man mußte den Bazar durchqueren, dessen fliegende Händler die Befreiungsbewegung und ihn auf T -Shirts, Stickern und Fahnen priesen, mußte die vier Stunden Rockspektakel mitnehmen - und schließlich erschien er. Was da gestern vor 72.000 Begeisterten im Londoner Wembley -Stadion über die Bühne ging, war die perfekte Symbiose aus Politik, Kultur und Cash. Die britische Anti-Apartheid -Bewegung kam in den Genuß, ihr Symbol und Idol Nelson Mandela life bejubeln zu dürfen. Die Musikgruppen sonnten sich im Angesicht der „living legend“ und hoffen, daß sich alles auszahlt. Und Nelson Mandela hatte die für einen Politiker einmalige Chance, im elektronischen Zeitalter seine Botschaft an eine Milliarde Menschen in 30 Ländern zu senden. „Danke, daß Sie sich gegen das Vergessen entschieden haben... Selbst durch die dicken Mauern der Gefängnisse auf Robben Island, Pollsmoor und Pretoria konnte man Ihren Ruf nach Freiheit hören“, sagte der erst vor zwei Monaten nach 27jähriger Haft entlassene Ex-Gefangene.

Während über ihm sein berühmtester Satz in Leuchtschrift flimmerte: „Der Kampf ist mein Leben“, prägte er neue Formulierungen: „Südafrika ist das Stinktier der Erde“ und müsse endlich zu einer „Oase der Demokratie“ werden. Den Weg dahin dürften jedoch nicht PolitikerInnen wie Margaret Thatcher bestimmen, deren Anti-Sanktions-Alleingang innerhalb der EG er schon im Vorfeld des Begrüßungskonzerts als „Desaster“ für sein Volk bezeichnet und ein Zusammentreffen mit Thatcher abgelehnt hatte. „Nur diejenigen, welche die Apartheid unterstützen, wollen Pretoria für die kleinen Schritte, die es machte, belohnen.“ Der Kampf müsse weitergehen, dazu gehöre auch die Beibehaltung der internationalen Isolation Südafrikas. Minutenlanger Beifall und gereckte Fäuste waren die Antwort.

Das Wembley-Konzert, so der Thatcher-Biograph und konservative 'Guardian'-Kolumnist Hugo Young gestern, sei bloßer Mandela-Kult und ein Anti-Thatcher-Happening gewesen. Dies mag der momentanen Bedürfnislage der KonzertbesucherInnen, darunter viele im Londoner Exil lebende SüdafrikanerInnen, entsprechen. Dem Politiker Mandela wird die Einschätzung kaum gerecht. Der scharfe Ton gegen die Pretoria-freundliche Haltung Großbritanniens trägt der Tatsache Rechnung, daß Thatcher aufgrund der historischen und ökonomischen Verbindungen zwischen beiden Ländern immer noch den größten Einfluß auf Südafrika hat. Und die Warnungen an die Regierung de Klerk, die Gespräche im schlimmsten Fall ganz abzubrechen, zeigt zudem, daß der ANC mehr und mehr Takt und Tempo der Verhandlungen bestimmen will. Das zu artikulieren ist Mandela einen Auftritt wert.

AS