Göttliche Komödie

■ Werder beim 0:0 gegen den AC Florenz von Sinnen / Gute Stimmung unter den Wahnsinnigen

Pech für den 400 Mann starken Werder-Anhang: Als die beiden Bagger auch um 19.45 Uhr noch den gegnerischen Strafraum im Stadion Communale di Firenza blockieren, war es für eine Weiterfahrt nach Perugia bereits zu spät. „Das gibts doch nicht!“, empörte sich Werder-Fan Heinz Fricke aus Hastedt. „Ohne Dolmetscher bist Du hier verraten und verkauft! “. Daß die Treuesten der Treuen allerdings Glück im Unglück hatten, konnte hier noch niemand ahnen. Wir lassen uns anstecken vom Enthusiasmus der Tifosi, aber es liegt von Anfang an ein Firnis debiler Happiness über dem Spiel. 2. Spielminute: Dall‘ Pglio läßt mit einem Rückpaß Torwart Landucci aussteigen, verfehlt nur knapp das Tor. 4. Spielminute: Uli Borowka sieht rot, foult Pioli krankenhausreif und sieht gelb. Dann verschwimmen die Bilder, wir verlieren im bengalischen Feuer mehr und mehr die Zentralper

spektive und finden uns in einem mittelalterlichen Alptraum wieder. Ein Tosen gibts, das rings ohn Ende schwellende, in dieser Lüfte Urnacht umgeschwungen, als raste Windsbraut, Sand im Wirbel schnellend. Und wir, dem Graun die Schläfe noch umschlungen: „Meister, was ists, davon das Ohr erbebt. Und wer sind sie, die so von Pein bezwungen?“

Es bleibt Semiot Umberto Eco, der sich schon seit Stunden in der Ehrenloge herumtreibt, überlassen, uns neuen Halt zu geben: „Fußball ist prinzipiell a-referentiell. Das Auseinandertreten von Signifikant und Signifikat, das ihr erlebt, hat mit dem Spiel erst mal nichts zu tun. Der Ideolekt bestimmt die Codifizierbarkeit der Ebenen!„

Indes, das Dunkel um uns will nicht weichen; der Zerberus, das Untier grausam wild, bellt jeden an, der kommt aus dreien Kehlen, daraus nach Hundeart sein Kläffen schrillt. „Meister, wer ist dieser, der packt mit Tatzen, krallenscharf, und schindet, vierteilt hier die armen Seelen? “

„Freunde, das ist doch bloß der Mann in Schwarz, Schiedsrichter Quiniou aus Frankreich, ein Interpretans, das als Signifikat verstanden werden könnte, weil es definiert ist als das, was das Zeichen in dem Quasi-Geist erzeugt, den der Interpret darstellt.„

Durchaus plausibel, aber die Erklärung überzeugt nur kurzfristig: Und wieder sehn wir im Morast dort welche, nackt und bloß, mit Schlamm bedeckt und grimmverzerrt die Brauen, die gaben sich mit Fäusten Stoß auf Stoß, mit Füßen auch, mit Kopf und Brust und rissen sich Fetzen Fleisches mit den Zähnen los. „Meister sag, sind das Vermaledeite?“

„Kameraden, bedenkt, daß wir uns jetzt in der Schlußphase befinden, Werder geht der Arsch auf Grundeis, was nichts anderes heißt, als daß das Verbindungsglied zwischen der Welt des Signals und der Welt des Sinnes zerrissen ist.„ -Doch uns ward schwarz vor Augen, und wie ein Toter fällt, so fieln wir hin. Als wir aus der langen Nacht erwachen, blicken wir geradewegs in Wynton Rufers irres, hohlwangiges Lächeln. Es gibt kein Entrinnen, wir befinden uns in der Hapag Lloyd, Flug 1995. Es geht nach Hause. Gute Stimmung unter den Wahnsinnigen: Johnny Otten stimmt wie immer das Werderlied von Klaus&Klaus an. Unsere Devise kann jetzt nur heißen: Ruhig bleiben, mitmachen, in zwei Stunden werden wir in Bremen landen.

Bald ist alles vorbei.

C. Bommert / A. Lachmann