Berliner Philharmoniker und der Holocaust

■ Zur ersten Israel-Reise der Berliner Philharmoniker / Nach dem Ableben Herbert von Karajans und Senatsquerelen klappte es endlich

Die Konzerte sind ausverkauft, das Publikum jubelt und kauft Karajan-Platten, und die Berliner Philharmoniker spielen als Zugabe die israelische Nationalhymne. Die Musikkritiker in Israels Zeitungen liefern die dazu passende Begleitmusik, Canoch Ron schrieb gar in der 'Jediot Ahronot‘, das Intonieren der Hatikwa durch das Berliner Orchester symbolisiere die Tatsache, daß der jüdische Geist überlebt habe, während das Dritte Reich zerstört worden sei.

Und Dirigent Daniel Barenboim führt den Erfolg des Orchesters in Israel unter anderem darauf zurück, daß ein Ensemble wie die Philharmoniker gegen den Mißbrauch anspielen könne, der der ganzen deutschen Kultur und Musik unter den Nazis im Zweiten Weltkrieg widerfuhr.

Nur ein paar Ewiggestrige mosern herum und wollen von dem deutschen Orchester par excellence in Israel nichts hören und sehen. So etwa Parlamentspräsident und Likud -Mitglied Dov Schilansky: „Das Berliner Orchester hat keinen Platz hier. Die Schande Deutschlands wird auch in tausend Jahren nicht ausgelöscht sein.“

Die Freude der Musikfans und Philharmonie-Freunde in Ehren

-aber sowenig, wie Schilansky recht hat, so sehr irrt Barenboim. Kein Orchester der Welt wird je in der Lage sein, den Holocaust spielend vergessen zu machen, da kann Herr Schilansky ganz beruhigt sein.

Aber ebenso werden die schönste Musik und das beste Orchester nie davor gefeit sein, als Propaganda-Instrumente von der Politik in Dienst genommen zu werden.

Wenn Barenboim von Mißbrauch spricht, dann stimmt das nur bedingt: Wieviele Musiker, längst nicht nur Karajan, haben in der Nazizeit ganz freiwillig Karriere gemacht, weil sie konkurrenzlos die Plätze ihrer jüdischen Kollegen einnehmen konnten? Musiker spielen, was sie sollen - jede Beethoven -Symphonie wäre sonst Kakophonie - und die Profession prägt den Charakter.

Grund für den Nichtauftritt des Orchesters in Israel war Jahrzehnte lang Herbert von Karajan, respektive dessen doppelte NSDAP-Mitgliedschaft. Er war in Israel nicht erwünscht, sein Orchester dagegen sehr wohl. Als Eberhard Diepgen als Regierender Bürgermeister 1984 die Philharmoniker mit auf Staatsvisite nehmen wollte, stand dem auch nichts im Wege.

Zubin Mehta oder Barenboim sollten dirigieren, man organisierte eifrig hier wie dort; aber dann ließ Karajan die Muskeln spielen, Diepgen fuhr allein, was hinter den Kulissen geschah, ist bis heute ungeklärt. Es folgte der Regierungswechsel - im Koalitionspapier von SPD und AL war die Israel-Reise endlich schriftlich versprochen - die beleidigte Kündigung Karajans und die unterwürfige Unschlüssigkeit der neuen Kultursenatorin Martiny. Folgte Karajans Tod.

Sicherlich, die Israel-Reise hätte er nicht mehr verhindern können. Aber Barenboims Diktum, daß die Berliner Philharmoniker für den besten Teil der deutschen Kultur stünden, nimmt sich geradezu peinlich aus, denkt man an das Vorspiel zum jetzigen Erfolg in Tel Aviv und Jerusalem.

Was wäre, wenn Karajan noch lebte, nicht gekündigt hätte und weiter jeden Schritt seines Orchesters dirigieren wollte? Man wäre am Ende wieder nach Salzburg gefahren.

Christiane Peitz