Von der Garbo zum Gaza-Streifen

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(Das Lied der Steine, Di., ZDF, 23.35 Uhr) Nachdem „Die Göttliche“ alias Mata Hari also endgültig ins Jenseits abgezogen war, kam mit halbstündiger Verspätung Das Lied der Steine. Aus dem stilisierten Himmel eines antiseptischen Stars, der seit 40 Jahren nicht mehr vor der Kamera stand, direkt in die Wirklichkeit, die sich in der Zwischenzeit zugetragen hat. Von der einfachen, für jeden verständlichen Bildsprache, Make-up, Schminke, zum fremdklingenden hebräischen Wortstrom mit deutschen Untertiteln. Wer den sich selbständig zu machen drohenden Finger vom Ausschalter fernhielt, sollte belohnt werden.

„Sie haben das ganze Gesindel dieser Erde genommen, um uns die Knochen zu brechen.“ Verzweifelung und Wut klingen aus der Stimme des Mannes als er den Oberkörper seines von israelischen Soldaten angeschossenen Sohnes entblößt. „Lieber Gott, laß die Kugeln auf die Chefs der Israelis regnen!“ Heiliger Haß, geschürt aus der zwanzig Jahre währenden Unterdrückung.

Michel Khleifi konterkariert seine mal poetisch verklärten, mal erschreckend nüchternen Bilder vom palästinensischen Bürgerkrieg mit einer Liebesgeschichte. Nach sechzehnjähriger Trennung treffen sie sich wieder. Er wurde erst kürzlich nach sechzehnjähriger Haft aus dem Gefängnis entlassen. Sie lebt seit fünfzehn Jahren in der Emigration. Ihre Liebe geht dort weiter, wo sie von sechzehn Jahren unterbrochen wurde, ungebrochen wie der Befreiungswille der Palästinenser. „In den Augen der israelischen Soldaten sind wir nichts als Tiere“, erklärt ein Verwundeter. Ein Gummigeschoß hat ihm die Gedärme zerfetzt. Auf der Straße sammeln Kinder Gummigeschosse und spielen Murmeln mit ihnen.

Das Lied der Steine ist kein nach Hintergründen und Zusammenhängen suchender Film. Mit bisweilen sogar romantisierendem Blick changiert er zwischen der zärtlichen Liebe und den grauenvollen Opfern. Wer wollte es da wahrhaben, daß die Liebe zwischen der Exiljournalistin und dem gescheiterten Romancier aus den Trümmern, dem Geschrei, dem Leid und den Tränen erwächst?

Was der Film mit seinen dokumentarischen Bildern provoziert, ist eine heilsame Ratlosigkeit. Grundpositionen geraten ins Wanken. Die Alltäglichkeit des Hasses dieser Menschen gegen ihre Unterdrücker läßt Humanität und Menschlichkeit als dekadenten Luxus erscheinen. Humanität ist was für Universitäten und Talkshows, für Bürger, deren freiheitlich-rechtliche Entscheidungen nach einem Wort Schäubles im allsonntäglichen „Presseclub“ nicht hinterfragt werden, weswegen sie sich um Bagatellen wie Umtauschkurse balgen können, während im Gaza-Streifen die Leute krepieren.

Manfred Riepe