Kapitalismuskritik klingelt in Kinokassen

■ Über die Reaktionen auf den Dokumentarfilm „Roger & Me“ in Amerika Heute kommt der Film in die deutschen Kinos

Natürlich wollten alle wissen, was denn Roger Smith zum Film über ihn sagen würde. Doch Roger, Vorsitzender der „General Motors Corporation“ (GM) hüllte sich zunächst beharrlich in Schweigen. Da mußten andere als Kritiker jenes Dokumentarfilmes auftreten, der nach Preisen bei vier Filmfestivals seit Dezember auch einen Siegeszug an der amerikanischen Box Office angetreten hat.

Statt in Lethal Weapan XXVII oder in noch eine College -Kid-Komödie rannte Amerikas Filmpublikum plötzlich in einen tragisch-komischen Dokumentarfilm über die deprimierenden Auswirkungen der US-Autokrise auf das 150.000 Einwohner -Städtchen Flint in Michigan. Schon nach wenigen Wochen hatte Roger & Me, die auf 16mm Spur festgehaltene Suche des Filmamateurs und Berufslinken Michael Moore nach dem Chef des größten amerikanischen Autokonzerns, 1,5 Millionen Dollar eingespielt. Bald hatten Warner Brother, die das Rennen gegen drei um die Kapitalismuskritik konkurrienden Studios gewonnen hatten, seine drei Millionen Dollar für die Filmrechte zurückerobert - und noch mehr.

Doch während Hollywood den subversiven Film problemlos vermarktete, hatten die Filmpuristen mit der Geschichte von der mutwilligen Demontage der „Autowelt“ von Flint ihre Schwierigkeiten. Kritiker warfen dem Ex-Journalisten Moore vor, mit seinem Dokumentarfilm Etikettenschwindel zu betreiben. Des Autors witziger und knochentrockener Kommentar, der in den Kinos draußen im Lande Lachsalven losgehen ließ, schien ihnen ebensowenig ins Genre zu passen, wie Moores zugegebenermaßen freizügiger Umgang mit der Chronologie der Ereignisse. „Ein Stück Gonzo-Demagogie“ so schimpfte Pauline Kael im Magazin 'New Yorker‘ über den Film, „zu billig, um darüber lachen zu können.“ Die „United Autoworkers Union“ (UAW), nicht gerade ein Fanclub des flüchtigen Filmhelden Roger Smith, störte an Moores Werk dagegen das wenig schmeichelhafte Porträt des Gewerkschaftspräsidenten Owen W. Bieber. Und am Ende, so maulte ein Gewerkschaftssprecher, laute die Botschaft des Films doch: „Leute, is okay einen Toyota zu kaufen, weil General Motors so ein widerwärtiger Verein ist.“ Nur die Arbeiter der Dissidentengewerkschaft „New Directions“ klopften sich bei der Vorführung von Roger & Me auf ihrem Treffen zuerst vor Lachen auf die Schenkel, ehe auch sie wütend wurden: Doch nicht über Moores Dramaturgie, sondern über die allzu realistische Message des Films: „Big Business gives a shit.“

Neider gab es auch in dem Lager, aus dem „Big Business“ seit Jahren heftig angegriffen wird. Der populäre Konsumentenanwalt Ralph Nader, schickte Moore nach seinem Filmerfolg erst einmal einen Zahlungsbefehl über 30.000 Dollar Finanzierungskosten für ein Projekt, daß Moore aufgrund seiner Filmtätigkeit aufgegeben hatte. Ein Mitarbeiter Naders beschuldigte den Regisseur darüber hinaus, die Idee der Konzentration auf den GM-Boss Roger Smith dem Nader-Buch „The Big Boys“ entnommen zu haben; ohne die Arbeit derer zu würdigen, die schon seit Jahren gegen den Autogiganten Kampagnen führten.

Neutraler war da schon die Würdigung des Films in 'Business Week‘. Das Magazin, daß sich die Beobachtung aller kapitalistischen Phänomene zur Aufgabe gemacht hat, ging einfach in New York auf die Straße und fragte die Kinobesucher nach ihrer Meinung über Roger & Me. Mit dem überraschenden Ergebnis, daß Cadillac-fahrende Hausfrauen, die Entlassung von 32.000 Autoarbeitern durch GM ganz empört als „un-amerikanisch“ bezeichneten, yuppiefizierte Computerprogrammierer Mr. Smith schlicht als „Schwein“ bezeichneten und ein pensionierter Börsenhändler vor dem Kino folgendes zu sagen hatte: „Dieser Film ist traurig und eindrucksvoll - die Essenz dessen, was Amerika heute ist. Man sieht, daß dieser Mann (Roger Smith) einfach kein Herz hat.“ Am Ende ließ sich der herzlose Filmheld, den Michael Moore in seinem Film vergeblich zu einem Besuch Flints hinreißen. Mr Smith habe Roger & Me noch nicht gesehen, wußte sein Pressesprecher zu berichten; aber nach dem, was er darüber gehört habe, leiste der Film der Gemeinde von Flint keine guten Dienste. Dabei drohen Flint noch schlechtere Zeiten als die dokumentargefilmten. In Detroit bereiten die drei großen Autokonzerne Amerikas die nächste Entlassungswelle vor, die auch an dem, was von Flints Autowelt noch geblieben ist, nicht spurlos vorübergehen wird. Und da streiten sich einige allen Ernstes immer noch über die Einzelheiten der Chronologie.

Rolf Paasch (Washington)