Knapp vorbei ist auch daneben

■ Nach glimpflichem Ausgang des Kampfjet-Absturzes über Karlsruhe steht alliiertes Kriesspiel erneut zur Disposition

„Der Schock sitzt uns allen noch tief in den Knochen.“ Über die Stirn des Karlsruher Oberbürgermeisters Gerhard Seiler (CDU) ziehen sich Sorgenfalten, als er am Dienstag abend das Polizeipräsidium betritt. „Ich verstehe die Menschen da draußen.“ Vor der „Einsatzzentrale“, in der alle Informationen über den Absturz der beiden kanadischen Düsenjäger auf Karlsruher Stadtgebiet zusammenlaufen, versammelt sich eine kleine Gruppe aufgebrachter BürgerInnen. Auf Transparenten fordern sie einen sofortigen Militärflugstopp und eine Entmilitarisierung beider deutscher Staaten. „Wir sind spontan hergekommen, wir wollen wissen, was los ist“, ruft einer von ihnen den Polizisten zu, die der Gruppe den Zugang zu einer Pressekonferenz mit den Militärs im Polizeipräsidium verwehren. „Wer schützt uns eigentlich vor diesen Möchtegern-Rambos?“ fügt ein anderer hinzu.

Drinnen sind sich alle einig: „Die Stadt ist haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschlittert“, bringt Polizeisprecher Anton Gramlich die Sache auf den Punkt, „man kann sich ausmalen, was hätte passieren können.“ Die beiden kanadischen Kampfflugzeuge vom Typ F-18 waren kurz vor 16 Uhr auf einem Übungsflug, bei dem die Piloten Luft-Luft -Kämpfe geübt hatten, in einer Höhe von vermutlich etwa 5.000 Metern aus noch unbekannter Ursache über Karlsruhe kollidiert und abgestürzt. Ein Trümmerregen aus zum Teil brennenden Wrackteilen ging im gesamten südlichen Stadtbereich nieder; kleinere Teile waren noch im Umkreis von zehn Kilometern zu finden.

Gerade noch

davongekommen

Doch die Stadt hatte unsagbares Glück: Lediglich vier leichtverletzte Personen meldeten die Krankenhäuser; nach Auskunft der Feuerwehr gab es auch keine größeren Brände. Außerdem: Die nach dem Absturz zunächst befürchtete Gefährdung durch mitgeführte Bordmunition blieb aus; nach Angaben der kanadischen Streitkräfte waren die Düsenjets diesmal unbestückt. Die F-18-Maschinen führten auch keine Behälter mit dem hochgiftigen Raketentreibstoff Hydrazin mit sich.

Dennoch: Die Südstadt bietet ein Bild der Zerstörung. Die Pförtnerin des Siemens-Werksgeländes an der Bannwaldallee kann es kaum fassen. kurz vor Dienstschluß schlug dort auf dem Parkplatz der Rumpf mit dem Leitwerk einer Maschine auf geparkte Autos - knapp 20 Meter hinter dem Verwaltungsgebäude, in dem rund 100 Menschen arbeiteten. 100 Meter weiter befindet sich die in den Feierabendstunden starkbefahrene Südtangente. Ebenfalls in der Nähe liegt ein Einkaufszentrum. Der sich beim Aufprall entzündende Treibstoff verkohlte die umstehenden Bäume des Firmengeländes. Es riecht nach Kerosin und verschmortem Kunststoff. Nicht weit entfernt wurde die verstümmelte Leiche des 30jährigen Piloten gefunden. Sein Fallschirm war nicht aufgegangen. Der Schleudersitz zerschlug in der Nähe den Dachstuhl eines mehrstöckigen Hauses. Der andere Pilot konnte sich retten und war am Fallschirm auf dem Mittelstreifen der A5 gelandet.

Die Trümmer der zweiten Maschine liegen im Oberwaldgebiet nahe dem Güterbahnhof verstreut. In dem engen und dichtbesiedelten Stadtteil liegen überall Metallfetzen und Elektronikteile zwischen von Dächern heruntergeschlagenen Dachziegeln. Abgestellte Autos sind reihenweise demoliert. Neben der Zapfsäule einer Tankstelle in der Rüppurer Straße schlug ein Triebwerk ein. Auch ein Hallenbad in der Stadtmitte wurde getroffen: Ein zwei Meter großes Tragflächenteil zerschlug das Dach. Gleich daneben steht eine Schule. Die Gebiete, in denen sich die verkohlten und gelöschten Großteile befanden, wurden schnell abgesperrt und zum militärischen Sicherheitsbereich erklärt.

Übungsflüge nur in

reservierten Flugkorridoren

„Warum müssen die auch noch über unsere Städte fliegen?“ In kleinen Gruppen diskutieren PassantInnen aufgeregt nicht nur über das Unglück, sondern auch über die „unsinnige Gefährdung“ durch die Militärflüge. Einige AugenzeugInnen wollen beobachtet haben, wie die beiden Kampfflieger in der Luft „Fangen gespielt“ haben, bevor sie dann abgedreht und getrennt in einer Wolke verschwunden waren.

Kurz darauf gab es einen Knall: Eine Maschine trudelte brennend aus der Wolke. Erbost zeigten sich die BeobachterInnen darüber, daß nach dem Unfall noch „mindestens zehn weitere Düsenjäger“ am Himmel waren. „Nicht einmal nach einem solchen Unfall brechen die ihre Übungen ab“, meinte ein junger Mann.

Auch OB Seiler wollte die Frage, wer da noch alles rumgeflogen ist, gerne von den Militärs beantwortet haben. Doch weder die Kanadier noch die Vertreter der Bundesluftwaffe konnten sich die Ansammlung der Flieger erklären. Die kanadischen Streitkräfte hätten lediglich eine weitere Maschine von ihrer Air-base in Söllingen bei Rastatt hochgeschickt, um den Absturzort zu lokalisieren, sagte der stellvertretende Staffelkapitän Jack Orr. Auch über die Flughöhe kursieren unterschiedliche Versionen. Während AugenzeugInnen anscheinend von „Tiefflügen“ gesprochen hatten, gaben die kanadischen Militärs an, die beiden Jets hätten sich in einem reservierten Flugkorridor befunden und die Stadt mit mehr als 10.000 Fuß (rund 3.000 Meter) überflogen.

„Fliegen ist

halt gefährlich“

Alles ist noch eimal glimpflich abgegangen. Eine Gelegenheit für alle Verantwortlichen, das Unglück als Betriebsunfall schnell ad acta zu legen. Für die Militärs ein Grund mehr, wieder zur Tagesordnung überzugehen. Die kanadischen Streitkräfte wollen auch nach dem Absturz der beiden Jets ihre Übungsflüge über Karlsruhe fortsetzen, erklärte gestern die Sprecherin der kanadischen Streitkräfte, Bärbel Newman. „Der Flugverkehr birgt Risiken“, so leicht resigniert OB Gerhard Seiler. „Es ist wohl das Risiko, mit dem man in Karlsruhe lebt.“

Erwin Single, Karlsruhe