Aktiengesellschaft erstritten

■ Sömmerdaer Modell - paritätische Gewerkschaftsrechte im Aufsichtsrat

Die IG Metall der DDR und der BRD haben mit der Betriebsleitung des Büromaschinenwerks Sömmerda die Satzung für eine Aktiengesellschaft erstritten. Darin sollen die Rechte der Belegschaft gesichert und gestärkt und das Eigenkapital zu 75 Prozent von der Belegschaft und zu 25 Prozent als Treuhandvermögen gehalten werden. Die Beteiligung westlicher Firmen ist in Zukunft nicht ausgeschlossen. Im 17köpfigen Aufsichtsrat werden je acht Vertreter der Belegschaft und acht Kapitalvertreter sowie ein von beiden Seiten gewähltes Mitglied aus dem Unternehmen sitzen. Das Belegschaftskapital geht „zur gesamten Hand“, der Einzelne kann einen Aktienanteil also nicht verkaufen. Der Zentralvorstand der IG Metall hat allen Belegschaften empfohlen, um derartige Besitzverhältnisse und die Parität im Aufsichtsrat zu kämpfen sowie sich für die Umwandlung ihrer Betriebe in Kapitalgesellschaften einzusetzen. Die IG Metall hat damit an einem Beispiel demonstriert, daß es mit Gewerkschaften in die Marktwirtschaft geht, daß man den BRD -Unternehmen das Volkseigentum „nicht auf dem Silbertablett servieren“ muß.

Die Gewerkschafter der Berliner Werkzeugmaschinenfabrik haben sich mit ihrer neuen BGL erst einmal einen kampfentschlossenen Partner für solche Satzungsverhandlungen zugelegt. Vorsitzender ist Dr. Ulrich Doehl, der bald 35 Jahre alt wird und bisher Softwareentwickler war. Er eröffnete seinen Wahlkampf in der Werkhalle. Kommentar der Arbeiter: „Wählen die Dich da oben (Forschung/Technologie) noch, wenn Du hier bei uns sprichst?“ Kommentar von Oben: „Hast Du es nötig, Dich hier 'runter (in die BGL) zu setzen?“ Ulrich Doehl macht's trotzdem, denn nach einer Lektion des IG Metall-Vertreters West über Arbeitnehmerbewußtsein, will er mit den Kollegen eine „echte Gewerkschaft“ machen.

Der Betrieb hat für seine Erzeugnisse einen guten osteuropäischen Markt, was auch für westliche Kooperationsinteressenten ein Sprungbrett sein könnte. Viele im Betrieb wünschen sich eine neue Unternehmensleitung, haben aber Angst davor, daß die Ablösung des seit 1964 leitenden Direktors - der sich leider keinen jüngeren Nachfolger herangezogen hat - eine Veränderungslawine im Betrieb auslösen könnte, deren Ergebnisse nicht abzusehen sind, stellt Ulrich Doehl die Situation dar. Er will sich in den Tarifverhandlungen für gleiche Löhne im gesamten Bereich der IG Metall einsetzen, einen höheren Lohnfonds vor allem für wirklich leistungsabhängige Löhne Gehälter nutzen und findet einen generellen Tarifurlaub von zum Beispiel 30 Tagen besser, als die neu eingeführten Zusatztage, die die Verhandlungen kompliziert gestalten. Er glaubt, daß die IG Metall als starker Tarifpartner künftig eine Leitfunktion gegenüber anderen IG haben könnte, indem sie das Machbare nach oben hin absteckt. Rahmenbedingungen dafür sind für die Metaller die Umwandlung der Betriebe in GmBH oder Aktiengesellschaften und die sich im künftigen Land Brandenburg bereits anbahnende Vereinigung mit der IG Metall Westberlins. Geschult wird schon gemeinsam.

Seit Mitte März arbeitet die neue 22-köpfige BGL bei Elektrokohle Lichtenberg. Vier Frauen sind darin, eine davon hauptamtlich - Erika Groth, die dem Betrieb seit 11 Jahren angehört. Der neue BGL-Vorsitzende Werner Rodenberg war bisher Vertrauensmann, ihren Alten, Rainer Schramm, haben sie als neuen Stellvertreter an den geschäftsführenden Vorstand des FDGB abgegeben. Die Situation der BGL ist kompliziert und widersprüchlich. Was sich jetzt als gute und sozial sichere Lösung anbahnt, kann morgen schon von der Entwicklung ad acta gelegt sein. Werner Rodenberg und seine KollegInnen sind unsicher, wie lange das neue Gewerkschaftsgesetz noch gelten wird, ob unser Betriebverfassungsgesetz wie das der BRD aussehen wird.

Elektrokohle ist der Monopolhersteller elektrischer Kohleerzeugnisse in der DDR. Im Ausland ist man längst spezialisiert. Ein Joint Venture mit nur einem Auslandspartner scheint daher unwahrscheinlich.

Die Belegschaft bewegt vor allem, wie das am 20. April fällige Konzept der Betriebsleitung für die Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft aussehen wird. Davon wird abhängen, ob es später noch eine Einheitsgewerkschaft geben wird. Wenn die BGL mit Rückendeckung der IG Chemie-Spitze das Statut der AG oder GmbH mitschreibt, könnte, wie in Sömmerda ein guter Wurf gelingen.

Marion Fischer