ZU GUT FÜR DIE WELT

■ Tanita Tikaram in der Philharmonie

Ja, sie hat all deine Einsamkeit entdeckt. Genau wie du hofft sie nicht mehr auf die Menschen, gleich dir hat sie all das hinter sich, was du durchgemacht hast, und erklärt dir, daß auch du viel zu gut bist für die Welt. Die desillusionierte Gefährtin an deiner Seite, mit dieser Stimme, die sich über die Seelen-Narben erhebt und die böse, böse Welt einfach durch Nichtachtung straft... Und die gläubige Gemeinde findet sich flugs zusammen, sich ihre Leiden an den rauhen Realitäten bestätigen zu lassen...

Was Tanita Tikaram da vor einem aus allen Generationen bunt zusammengewürfelten Publikum in der Philharmonie zum Besten gab, wird zwar vermutlich von einer großen Schar introvertierter Schöngeister dergestalt empfunden, entringt sich jedoch offensichtlich tatsächlich und ehrlich ihrer zwanzig Jahre jungen Brust. Für den verklärten Blick bei den Hörern kann sie schließlich nichts. Mit hin und wieder noch etwas ungelenken Bewegungen, ganz in Schwarz, setzt sie die Reihe derer fort, die seit eh und je den besinnlichen Widerpart zum laut jubelnden Rock-Busineß lieferten. Wie im augenscheinlich spontan wirken wollenden, unübersichtlichen und in ihrer Handschrift gehaltenen Programmheft vermerkt hat, hat sie „Famous Blue Raincoat“ 545 Mal gehört, was nur belegt, daß es zwar um Altmeister Leonard Cohen stiller werden kann, indem seine Musik lauter wird, die Tradition der Träumer aber reißt nicht ab. Sie werden noch immer zur Stelle sein, die Vega, Baez und eben auch Tikaram.

Nach dem sensationellen Erfolg ihrer ersten Platte „Ancient Heart“, namentlich dem Titel „Twist In My Sobriety“ geschuldet, soll die diesjährige Tour die neue LP „The Sweet Keeper“ unter die Leute bringen. Schon gleich nach dem rockigen Auftakt übernimmt die für Wuchs und Alter immer wieder erstaunliche Altstimme der 1969 in Münster als Tochter eines Vaters von den Fidji-Inseln und einer malaysischen Mutter geborenen, stets und ständig durch eine wohl wachsame Manager-Crew trefflich abgeschirmten Tanita die eigentliche Führung im Saale. Die Stimme ist es, die bei ab und an nebelhaft unklar bleibenden Texten die große Faszination ausmacht. Dazu einfühlsam erdacht und in genauestens passende Arrangements gekleidet, finden ihre Songs schnell zum Hörer, der sich endlich verstanden meinend darin geborgen wiegt. Vor schwarzem Rahmen und sich abwechselnd in Himmelblau und brennenden Rot ergehenden Hintergrund stützt sich das junge Sternchen vor allem auf saubere Gitarrenstimmen und Streichersätze, die teils von Helen O'Hara, der Violinistin, einer unglaublich „schlanken“ Person mit Überlänge und teils aus dem Synthesizer stammen.

„Ihre Stimme ist wie eine irische Landschaft“, erklärt mir ein sichtlich ergriffener Fan nach dem Konzert. „Romantisch und irgendwie mythisch...“ Tanita Tikaram scheint in einem beständigen Abschiednehmen begriffen zu sein, sie spricht immer in den kalten Wind, weil sie weiß, daß die Menschen auf das „Mädchen mit dem Clownsgesicht“ nicht hören. Kathedralen kommen in ihren Liedern vor, es regnet, Winter ist's und die Liebe verloren... Was in den Songs an Gefühl reichlich vorhanden ist, scheint auf der Bühne zu fehlen. Sie treibt die Show dort vorne offenbar für sich selbst, kaum, daß einmal eine Regung dem Publikum gilt, als man ihr an einer Stelle zu lange klatscht, wird der nächste Titel einfach angefangen: „Twist In My Sobriety“. Und da setzt dann auch rhythmisches Klatschen im Saale ein, Heinz Schenk läßt grüßen, Romantik in Bembeln. Zu den Zugaben läßt sie sich erst eine Weile bitten. Es ist - zumal für den Journalisten aus dem Osten - insgesamt ein zwiespältiges Gefühl, diese so kometenhaft in den Hitlisten und der Publikumsgunst nach oben geschnellte junge Sängerin live zu erleben. Da sind zwingend gemalte Stimmungen, von der ersten LP kommt als Zugabe „Valentine Heart“, nur mit Gitarre und Violine begleitet - meisterhaft, klassisch, stark. Da sind lebhafte Songe, die nach Country klingen und voll Lust am Erleben, und dann hat man den Eindruck, ihre Gesten zelebrierten Bewegtheit über die eigenen Worte, kultivierten ihr Künstlertum, den Welterfolg mit zwanzig Jahren. Plumper und lauter Applaus rattet in die noch ausklingenden Balladen, eine begnadete Gitarristin ist sie gerade nicht, für Akkorde reicht es; die Leute an ihrer Seite machen das wieder wett. Vor allem Mark Cresswell hinterläßt da die stärkste Wirkung. Fast wäre mir die unbekannte Stimme von der Platte lieber gewesen als das Erlebnis der ausschließlich Englisch sprechenden Vegetarierin, die, wenn man der 'Vita‘ glauben darf, immerhin zwölf Jahre in Deutschland gelebt hat.

Ralf Schuler