CHARMANTER KANONIER

■ „Der VW-Komplex“ von Hartmut Bitomsky

One Volkswagen...Ten Volkswagens...One-hundred Volkswagens ...Ten-thousant Volkswagens... Half a million Volkswagens...One Million Volkswagens each year... Wollt Ihr den totalen Volkswagen?

Frieder Butzmanns kulturpolitisch besonders wertvoller Beitrag zum Thema „Ein Volk, ein Wahn, ein Wagen“ hat Hartmut Bitomsky als Soundtrack zu seinem Film Der VW -Komplex unverständlicherweise nicht berücksichtigt, was direkt einen Punktabzug auf der Bewertungsskala bedeuten müßte, wäre dieser faux pas nicht durch eine rasante Montage von Wochenschaufilmen ausgeglichen worden, die den motorisierten Triumph des deutschen Willens zynisch kommentiert. Zu sehen gibt es da endlos vom Band rollende Volkswagen, der Zwanzigtausendste, der halbe Millionste, fünf Millionste Volkswagen, und sie rollen und rollen, als unaufhaltsames Wirtschaftswunder. Das Ritual der frisch erblühten kapitalistischen Leistungsschau wirkt gleichermaßen peinlich-spießig inszeniert wie straff -autoritär durchgezogen - O-Ton: „Neue Deutsche Wochenschau 1952“: „Eine halbe Million Volkswagen! Dies war der Grund, warum Generaldirektor Nordhoff die 19.000 Arbeiter des Werkes zusammenrief. Hier ist der Fünfhunderttausendste! Er und noch einige andere wurden im Rahmen der Jubiläumsfeier verlost. Ein riesiges Autoroulette gab die Möglichkeit, wie am Spieltisch die Glücksnummer festzustellen. ...Und der charmanteste Kanonier aller Zeiten macht die Kanone Typ 'VW‘ wieder schußbereit.“ Die Verbindung von Tradition und Zukunft ist das VW-Erfolgsrezept, manch einer raunt sogar was von einer eigenen VW-Philosophie; wie die aber wirklich aussieht, weiß offensichtlich keiner genau, Hauptsache sie funktioniert, und das gelingt, weil die Deutschen schon immer die Meister im Vergangenheitsbewältigen waren, unermüdlich und fleißig im Verdrängen und Vergessen.

VW, traditionsbewußt: Im Mai 1938 legte Hitler den Grundstein für die Fabrik, die die größte Autoproduktionsstätte der Welt werden sollte, kombiniert mit einer Nazi-Musterstadt für 90.000 Einwohner. KdF (Kraft durch Freude) statt PS sollten dieses deutsche Vehikel antreiben, nach dem Krieg wurde das KdF zum Volk erklärt und „die Stadt des KdF-Wagens“ in Wolfsburg umgetauft, immer noch einer der häßlichsten Flecken, der auf der bald wieder großdeutschen Reichskarte zu finden ist. Hitler selbst ist nur zweimal mit dem KdF-Wagen gefahren, einmal bei der Grundsteinlegung des Werkes und dann noch einmal kurz vor Kriegsende zur Tarnung.

„Autos werden ausgeschlachtet und verschrottet. Die künftigen Archäologen werden nichts auszugraben haben“, sagt Hartmut Bitomsky am Anfang des Films - genug Schweinereien und Propagandaschwindel nationalsozialistischer wie kapitalistischer Art gab und gibt es aber in der Geschichte des VW-Konzerns auszugraben und zu enttarnen, eine Vorgabe, die so komplex ist, daß sie nicht in einem 90minütigen Film zu bewältigen ist. VW als Rüstungskonzern der Nazis, der aus dem Boden gestampft wurde, und für den die deutschen Arbeiter geschröpft wurden („Wie man einen VW auch zusammensetzt, es kommt immer eine Kanone dabei heraus“); VW als Zwangsarbeiterstätte des Krieges, die unzählige Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge nicht überlebt haben; VW verstrickt in dubiose Finanz- und Rüstungsgeschäfte mit den Ländern des Trikont. Hätte Bitomsky sich in seiner Dokumentation darauf konzentriert, wäre es ihm eher gelungen, den VW-Komplex etwas eingehender zu durchleuchten, aber er erweitert sein Thema noch um eine detaillierte Schilderung des modernen, von Robotern beherrschten Produktionsablaufs bei VW, und das gerät dem Film zum Nachteil, er zerfasert und verliert an Dichte.

DOA

Der VW-Komplex“ im Sputnik Südstern, um 21.30 Uhr.