Der Countdown für die Mauer läuft

■ Im Sommer fällt die Mauer /Gestern wurde die Debatte um die künftige Nutzung des Grenzstreifens losgetreten / Autobahn, Grünstreifen oder altes Stadtbild?

Berlin. Ob „Sojus“ oder „Challenger“ - die nächsten Astronauten werden auf den Anblick der Mauer aus dem Weltall verzichten müssen. Was nach Berichten amerikanischer Raumfahrtbesatzungen bei Wolkenlosigkeit sogar vom Mond aus identifiziert werden kann, soll eingeebnet werden. Auf einen konkreten Zeitpunkt wollten sich gestern weder DDR -Ministerpräsident de Maiziere, noch der Pressereferent im DDR-Innenministerium, Mechtel, einlassen. „In den nächsten Monaten“, hieß es.

Bereits am Mittwoch hatten die Innenminister der DDR und der BRD, Diestel und Schäuble, sich darauf verständigt, die innerdeutschen Grenzkontrollen bis zum Beginn der Sommerferien aufzuheben. Die damit überflüssig gewordenen Grenztruppen sollen dann „dem Bestand des Innenminsiteriums“ zugeschlagen werden, erklärte Mechtel.

Überflüssig werden dann nicht nur die grauuniformierten Grepos. Welcher Verwendung die über 200 Beobachtungstürme und 245 Bunker-und Schützenstellungen zugeführt werden sollen, war gestern von den zuständigen DDR-Behörden nicht zu erfahren. Mit dem Abriß der Mauer naht auch das Ende für 52 Aussichtsplattformen, diverse Imbiß- und Souvenirstände. Freaks wie der amerikanische Mauerläufer John Runnings und diverse Performance Künstler werden sich einen anderen Lebensinhalt suchen müssen. Abgesehen von der unermüdlichen Arbeit der Mauerpicker hatten DDR-Grenztruppen bereits am 16. Februar mit dem Abbau der Betonplatten am Reichstag begonnen. Bisher werden abgerissene Mauerteile durch Drahtzäune ersetzt - eine Praxis, die de Maiziere vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten als „reine Geldverschwendung“ bezeichnet hatte.

Während CDU (West)-Generalsekretär Landowsky Mauer und Grenzbefestigungen am liebsten gleich einreißen will, warnte die Berliner SPD (Ost)-Bezirksvorsitzende Anne-Kathrin Pauk vor überstürzter Eile. Bevor sich die Verwaltungen nicht auf die damit verbundenen Probleme wie zum Beispiel Drogenhandel eingestellt hätten, „ist eine Trennlinie weiter nötig“. Einen Grüngürtel anstelle des Schutzwalls, wie ihn Grüne und Alternative in Ost und West fordern, lehnte die SPD -Politikerin jedoch ab. „Die Stadtmitte muß pulsieren“, also müsse man die Straßen nach historischem Vorbild wieder zusammenführen. Um diesen Prozeß zu forcieren, will die West -Berliner SPD nach Angaben ihres Pressesprechers Christian Hossbach, Druck auf die Verkehrspolitiker machen. Mitglieder und Symphatisanten der Bauernpartei, der Grünen Partei und der im „Bündnis 90“ zusammengschlossenen Gruppen forderten gestern in einem offenen Brief an den Berliner Regionalausschuß, den Mauerstreifen durch Grünflächen und Erholungsbereiche mit durchgängigen Promenaden und Radfahrwegen zu ersetzen. Was aus den vielen Kaninchen werden soll, die sich auf dem ehemaligen Todestreifen eingerichtet haben, könnte eigentlich nur der Hasenexperte Joseph Beuys beantworten. Seine vor mehreren Jahren erhobene Forderung, die Mauer „aus ästhetischen Gründen“ um fünf Zentimter zu erhöhen, wird nun ins Gegenteil verkehrt: Vom Schutzwall bleibt allenfalls eine Bodenwelle.

anb/ccm/maz