Oh, Thomas, jetzt hast du doch kontrahiert!

■ Fußballtänzer Häßler - Daum: „Ein Juwel“ - machtlos beim 0:0 gegen seinen neuen Arbeitgeber Juventus Turin

Köln (taz) - Nein, erst wolltest du nicht hin, sagtest du wochenlang. Die Gattin, hieß es, hänge an Köln, und du eigentlich auch. Und jetzt ist es doch passiert, dein Präsident Artzinger-Bolten tat nach dem UEFA-Pokal -Halbfinale in seiner „schwierigsten Amtshandlung mit großem Bedauern“ kund, du habest „immer mit Turin kontrahieren“ wollen, und das jetzt auch getan. Ab Juli gehörst du wirbelnder Jungbrunnen, du Dribbel-Dämon und genialer Tänzer des Müngersdorfer Rasens, zur „vecchia signora“, der alten Dame Juve, und willst gegen Lira-Milliarden dem Fiat-Führer Agnelli dienen. Oh, Thomas!

Noch einmal kurvtest du übers regengenäßte Geviert, fast ein jeder deiner neuen Arbeitskollegen durfte dich einmal niederstrecken, du täuschtest rechts, und liefest links, und warst doch schon längst mitten durch. Du stopptest die Bälle in vollem Lauf in Kopfhöhe (das sind auch bei dir immerhin 1,66 Meter) und wenn die Sense der Wegglitschenden kam, warst du längst schon woanders. Wie tumb sich deine Kölschen Kameraden anstellten, als sie zu Fußballneudeutsch „mit kontrollierter Offensive“ das eine fehlende Törchen schaffen wollten und so gar wenig zustandebrachten.

„Bitter enttäuscht“, sei er, schimpfte dein Trainer Christoph Daum hernach, von einigen Kölnern gewesen, die sich „im wichtigsten Spiel meiner Karriere nicht lernfähig und lernwillig“ gezeigt hätten und etliches an „Einsatz, Biß und Zerreißen“ hätten vermissen lassen. Namen nannte er nicht, wie branchenüblich, so muß hier mutwillig auf die Herren Rudy, Görtz, Janßen und auch Greiner verwiesen werden, die die vornehme alte Fußball-Dame aus Torino höflicherweise jung und frisch aussehen ließen. Erst als in der Schlußviertelstunde Verzweiflungsangriffe statt Rasenmathe dominierten, wurde es so richtig aufregend, da wußte Aleinikov, der langhaarige wie langhosige Russe im Juve-Mittelfeld, den Jungstar Schillaci (der Juve-Häßler des Abends) nicht mehr zum wirbelnden Kontersprint zu animieren, da wankte die Abwehr um Dario Bonetti, den Hünen mit dem Gipsklumpen ums Handgelenk, und um Torwart Stefano Tacconi, den Schmalzmähnigen, der in der letzten Minute einen Gewaltschuß von Paul Steiner artistisch um den Pfosten drehte.

Weil wir alle auf das Turiner Tor starrten, haben wir dich, oh Thomas, in der zweiten Halbzeit ein wenig aus den Augen verloren. Vielleicht war es auch die Furcht, daß deine begnadeten Fußwerkzeuge heile bleiben mögen für neue Taten im Italienischen, und vielleicht auch, daß nicht ausgerechnet du es gewesen wärest, der die eigene zukünftige Mannschaft aus dem Pokal geschossen hätte. Fußballfachleute bezeichnen ein solches Verhalten als Vereinswechsel-lag, eine unbewußt vorgezogene Zeitverschiebung, sozusagen ex -ante, ähnlich jenem ex-post-lag, der Spieler bisweilen befällt, wenn sie gegen ihren alten Verein gern unerklärlich schwach spielen.

Der Gesamthuldigung um dich, oh Hl.Kölner Fußball-Thomas, tut das natürlich keinen Abbruch. „Wenn ich Häßler bewerten sollte“, gestand verklärt dein Lehrer Daum hernach, ja doch, „dann müßte ich weinen“. „Ein Ausnahmefußballer“, seiest du, „immer mehr ein Vorbild für die Jugend“, halt „ein Juwel“. Mit deinem Fortgang habe man ihm, dem Coolen, dem Schwätzer, dem Abgebrühten, oh wahrlich: „das Herz aus der Brust gerissen“. 15 Millionen wird Juve für dich zahlen, zuzüglich Mehrwertsteuer, und es sind wirklich nur 14 Prozent, wie dein Präsident ausdrücklich feststellte. Keine Sondersteuer, kein Luxussatz, keine Auserwähltenabgabe - ganz schön dumm, die Finanzbehörden.

Und weißt du, oh Icke, was sie mit all dem Zaster machen wollen: „Seriös anlegen“, verriet FC-Vizepräsident Hans Neukirch, und das heißt: „Renovierung unseres Clubhauses und Erneuerung der Platzanlage“. Ziegelsteine und Grassamen wollen sie für deine gesegneten Waden kaufen, ist es nicht unglaublich? Am Ende werden sie noch alles an Geißbock Hennes IV. Verfüttern. Hoffentlich bleibt dabei wenigstens ein bißchen für Weiterbildung in Fußball-Historie übrig. Warum? Tatort Pressekonferenz: Wie ein Bonetti im Abwehrgetümmel stand vor dem neuen Müngersdorfer Schickimicki-VIP-Zelt die Garde vom uniformierten Kölner Wachdienst, und verlangte im chaotischen Menschengewühle ein Einlaßkärtchen von einem jeden.

Gemessenen Schritts kam da der Herr Dino Zoff daher, die Torwart-Legende Italias und heutiger Juve-Trainer, und prallte gegen eine dieser respekterheischenden Frührentnergestalten. Signore Dino lächelte lässig und mild. Die Umstehenden lachten schon, aber der stramme deutsche Türhüter gestikulierte dem Torhüter ein Viereck vors Gesicht: Nix Biletta, nix Einlaß. Nachher schämte er sich arg, der beflissene Mann, aber der Dino dankte verschmitzt „für die ganze Gastfreundlichkeit hier in Köln“.

Thomas, sei froh, daß du zu deinem letzten Zauberauftritt überhaupt ohne Eintrittskarte auf den Rasen gelangen konntest.

Bernd Müllender

KÖLN: Illgner - Steiner - Gielchen, Giske - Häßler, Jansen, Rudy (75. Rahn), Greiner, Görtz (46. Götz) - Sturm, Ordenewitz

TURIN: Tacconi - Bonetti - Napoli, Bruno, de Agostini Alessio, Aleinjnikow, Galia, Barros - Casiraghi, Schillaci (90. Brio)