In Israel wächst Demokratieverdruß

■ Auch nach fünfwöchiger Mehrheitssuche ist keine neue Regierung in Sicht / Radikale Siedlerbewegungen nutzen das Machtvakuum / Mehrere neue Siedlungsprojekte in der Westbank

Tel Aviv/Berlin (taz) - In Israel geht das schon beinahe chronisch gewordene Tauziehen um eine mehrheitsfähige Regierung weiter. Doch während die israelische Bevölkerung anfänglich noch rege Anteilnahme an den Bemühungen der Spitzenpolitiker um tragfähige Mehrheiten zeigte, macht sich jetzt Überdruß breit. Zu lange schon versuchen die großen Parteien Likud und Arbeitspartei, die kleinen orthodoxen Religionsfraktionen mit Ministerposten und Finanzzusagen für ihre jeweils geplanten Regierungen zu ködern.

Politische Beobachter in Israel machen in diesem Zusammenhang auf zwei gefährliche Entwicklungen aufmerksam: Zum einen sehen mehr und mehr Bürger in diesen Kuhhändeln eine vollständige Diskreditierung der politischen Kultur und der Demokratie. Und zum anderen werden durch die Auseinandersetzungen um die Regierungsmacht alle anderen politischen Probleme vollständig verdrängt. Betroffen sind davon vor allem der Nahost-Friedensprozeß und ein möglicher Dialog mit den Palästinensern. Aber auch die Frage, wie das politische Sachprogramm - welcher neuen Regierung auch immer - aussehen wird, bleibt weitgehend unbeantwortet. Schimon Peres, der Chef der Arbeitspartei, will der Demokratiekrise aber nun offensichtlich entgegenwirken. Denn er hat erklärt, er werde sein Kabinett am kommenden Mittwoch dem Parlament auch dann vorstellen, wenn er über keine absolute Mehrheit verfügen sollte.

Doch es gibt auch Nutznießer des gegenwärtigen Machtvakuums. Die radikale Bewegung „Gusch Emunim“ wittert in der andauernden Regierungskrise ihre große Chance. Zusammen mit anderen Siedlerbewegungen schritt sie zur Tat und begann, neue Siedlungen in den besetzten Gebieten der Westbank, des Gazastreifens und Ost-Jerusalems zu propagieren und symbolisch Land zu besetzen. Nur wenige Kilometer nördlich der Stadt Gaza begannen ihre Anhänger, Land für die 16. jüdische Siedlung im Gazastreifen - einem der ohnehin am dichtesten besiedelten Gebiete der Erde - zu erschließen. Ebenso wurde die Ausweitung der Siedlung „Kfar Edomim“ in der Westbank, 20 Kilometer östlich von Jerusalem, bekanntgegeben. Schon am vergangenen Donnerstag hatten jüdische Siedler in Ost-Jerusalem einen Gebäudekomplex im christlichen Viertel besetzt. Der israelische Religionsminister Hammer, der erst vor einigen Monaten allen Arabern, die sich gegen die Einwanderung von sowjetischen Juden nach Israel ausgesprochen hatten, die Staatsbürgerschaft aberkennen wollte, besuchte unterdessen die Besetzer. Die Siedler hätten „keine bösen Absichten“, meinte er. Sie wollen lediglich, das leerstehende Haus, das eine mysteriöse Gesellschaft mit Sitz in Panama erworben hat, „nutzen“.

a.w./wasa