Diestel will Bürgerkomitees entpflichten

Die Bürgerkomitees zur Auflösung der Stasi sind über DDR-Innenminister empört / Er will die ehrenamtlichen Kontrolleure verdrängen, die staatlichen Überwacher wurden ihm unterstellt / Die ehrenamtlichen Stasi-Auflöser fordern parlamentarischen Kontrollausschuß  ■  Aus Ost-Berlin Wolfgang Gast

„Wenn über das Parlament unsere Beteiligung an einem Kontrollausschuß nicht möglich ist, dann müssen wir wieder auf die Straße.“ David Gill, der Sprecher des Bürgerkomitees zur Auflösung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit in der Ostberliner Normannenstraße ist stinksauer. Der neubestallte Innenminister der DDR, das DSU -Mitglied Peter Michael Diestel, will verhindern, daß Bürgerkomitees weiterhin die Demontage des Geheimdienstes mitkontrollieren. Zusammen mit anderen Stasi-Kontrolleuren stellte sich Gill am Mittwoch abend in einem Konferenzraum des früheren Stasi-Hauptquartiers im Bezirk Lichtenberg den Fragen von BesucherInnen. Mehr als dreihundert waren zu diesem „3.Bürgerforum“ gekommen, die Empörung über das Vorgehen des neuen Innenministers war ungeteilt.

Am Dienstag, berichteten die Teilnehmer des Treffens mit Diestel, war der DSU-Mann in der ehemaligen Stasi-Zentrale vorstellig geworden, um den ehrenamtlichen Auflösern mitzuteilen, daß ihre Arbeit künftig von ihm nicht erwünscht sei: Da er nun der demokratisch legitimierte Innenminister sei, halte er das Wirken der nicht paritätisch besetzten Bürgerkomitees in der bisherigen Form für nicht weiter tragbar. Eine gesellschaftliche Kontrolle des Auflösungsprozesses, wie von den Bürgerkomitees gefordert, sei mithin nicht erforderlich. Zornig wurden die BesucherInnen, als sie hörten, daß Diestel vor dem Komitee bereits angekündigt hat, der Protest einiger zehntausend auf der Straße würde ihn „nicht jucken“.

Daß ihre Legitimation mit dem Antritt einer neuen Regierung nach den Volkskammerwahlen wegfällt, war den MitarbeiterInnen der Bürgerkomitees bewußt. Nach ihren Vorstellung sollte nach der konstituierenden Sitzung der Volkskammer ein Kontrollausschuß eingesetzt werden, der die Arbeit der Ehrenamtlichen fortsetzen sollte. Aufgabe dieses Ausschusses wäre es, dem offiziellen Nachlaßverwalter des MfS, dem am 8. Februar 90 per Ministerratsbeschluß installierten „Staatliche Komitee zur Auflösung des ehemaligen MfS“, entschieden auf die Finger zu klopfen. Daß dieser staatliche Nachlaßverwalter kontrolliert werden muß, ist unter den Bürgerkomitees unumstritten. Denn in diesem staatlichen Auflösungsorgan sitzen rund 40 ehemalige Stasi -Mitarbeiter. Die über 50 Leute vom Bürgerkomitee, inzwischen Stasi-Experten, rechneten ursprünglich damit, daß zumindest ein Teil von ihnen als Mitarbeiter des neuen parlamentarischen Ausschusses übernommen würde. Aber die Kontrolle über die Auflösung des MfS will Innenminister Diestel alleine an sich ziehen. Anlaß zum Mißtrauen bot das staatliche Komitee wiederholt. Die staatlich bestellten Kontrolleure agierten selbstherrlich, brachen vereinbarte Absprachen. So blieb den Bürgerkomitees die Übergabe der ehemaligen Stasi-Objekte an „zivile“ Nutzer bis zuletzt ein Rätsel. Schillerndes Beispiel: Beim Abgleich des Soll- und Ist-Bestandes der Bewaffnung des MfS mußten die Stasi -Auflöser vor drei Wochen feststellen, daß insgesamt mehr Waffen abgeliefert wurden, als in den Inventarlisten verzeichnet waren.

Das staatliche Komitee ist seit Dienstag dem Innenminister direkt unterstellt. Für den Bezirkskoordinator der landesweiten Bürgerkomitees, Thomas Schmidt, wird damit eine „administrativ-doktrinäre Struktur“ aufgebaut und die „Entscheidungsgewalt ausschließlich bei Innenminister Diestel angesiedelt“. Die Befürchtung der Komitees: Diestel setzte sich zwar für eine „sachliche Auflösung“ des früheren Geheimdienstes ein, an einer „politischen Aufarbeitung der Vergangenheit“ sei er aber nicht interessiert. Und gerade so, als wolle er die Befürchtungen bestätigen, trat der frischgebackene Minister bei seinem ersten Auslandsbesuch gemeinsam mit seinem BRD-Amtskollegen Schäuble am Mittwoch in Bonn vor die Presse, um zu versprechen, in Sachen Stasi einen dicken „Schlußstrich“ zu ziehen.

In einem Schreiben an den Ministerpräsidenten de Maiziere, die Volkskammerpräsidentin Bergmann-Pohl und die Fraktionen des Parlaments empören sich die Bürgerkomitees auch über einem weiteren Punkt: „Eine Personalunion in der alleinigen Entscheidungsbefugnis sowohl bei der Auflösung des alten wie auch beim Aufbau eines neuen Geheimdienstes - zudem noch ohne gesellschaftliche Kontrolle - halten wir für nicht tragbar.“

Für die Bürgerkomitees ist dies ein weiterer Beleg dafür, daß ein parlamentarischer Kontrollausschuß unbedingt notwendig ist: Zumindest müsse „verhindert werden, daß dieser neue Geheimdienst auf alten Strukturen und alten Arbeitsergebnissen aufbaut“.