Birkel und die Konsequenzen

■ Nach verlorenem Nudel-Prozeß legt Baden-Württemberg Verbraucherschutzgesetz vor Behörden sollen bei Verdachtsmomenten vor gesundheitsschädlichen Produkten warnen dürfen

Stuttgart (taz) - Baden-Württemberg will künftig den Verbraucherschutz stärken. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat Umweltminister Vetter (CDU) vorgelegt. Mit den bislang bundesweit ersten Ausführungsbestimmungen zum geltenden Lebensmittelgesetz sollen vor allem die Verbraucherinformation und die Eingriffsmöglichkeiten der Behörden bei Verstößen klar geregelt werden.

Das Land zieht damit eine Konsequenz aus dem in auch zweiter Instanz verlorenen Birkel-Prozeß. Im größten Schadensersatzprozeß der BRD mußte das Land schmerzliche Erfahrungen mit den rechtlichen Lücken bei Produktüberwachung und Verbraucherinformation machen: Das Stuttgarter Regierungspräsidium hatte im Sommer 1985 allzu voreilig vor „mikrobiell verdorbenen“ Nudeln des Teigwarenfabrikanten Birkel gewarnt und und sich damit einer „fahrlässigen Amtspflichtverletzung“ schuldig gemacht. Birkel hatte auf Schadensersatz in Höhe von 43,2 Millionen DM geklagt.

Nach dem Gesetzentwurf kann nun die Öffentlichkeit mit Firmenname und Produktsangabe vor gesundheitgefährdenden Erzeugnissen gewarnt werden, auch wenn lediglich Verdachtsmomente vorliegen. Verbraucherinformationen dürfen die zuständigen Behörden auch bei andere Mißachtungen lebensmittelrechtlicher Bestimmungen geben, etwa beim Verkauf „ekelerregender“ Produkte. Darüber hinaus sollen rechtlich verbindliche Verkaufsverbote nach dem neuen Gesetz möglich sein. Aber auch die berechtigten Belange der Wirtschaft würden angemessen beachtet, so der Umweltminister. Diese könnten durch eigene Maßmahmen wie Rückrufaktionen selbst behördliche Eingriffen zuvorkommen und so negative Folgen für ihr Firmenimage abwenden.

Das ramponierte Image des Nudelfabrikanten Birkel, der seinen Betrieb Anfang dieses Jahres an den französischen Nahrungsmittelkonzern BSN verkauft hat, dürfte das Land Baden-Württemberg dennoch teuer zu stehen kommen. Nachdem Umweltminister Vetter signalisiert hat, die Landesregierung werde gegen das Birkel-Urteil des Stuttgarter Oberlandgerichts voraussichtlich keine Revision einlegen, muß das Gericht in einem gesonderten Verfahren über die Höhe der Schadensersatzansprüche entscheiden. Das Stuttgarter Landgericht hatte in der ersten Instanz bereits einen Vergleich in Höhe von acht Millionen DM vorgeschlagen.

Erwin Single