Polizeischuß „zur Eigensicherung“

■ 18jähriger in Nürnberg von Polizeikugel in den Kopf getroffen Vorgang völlig ungeklärt / Opfer schwebt in Lebensgefahr

Nürnberg (taz) - Vier Tage nachdem ein 18jähriger Autofahrer in Nürnberg von einer Polizeikugel in den Kopf getroffen worden ist, ist der Vorfall noch völlig ungeklärt. Die Staatsanwaltschaft sieht bislang „keinen konkreten Anhaltspunkt einer Notwehrlage“. Der Schütze, ein 29jähriger Polizeimeister will erst am Montag eine Erklärung abgeben. Währenddessen ist die Diskussion um die Ende der 70er Jahre in Bayern eingeführte Polizeiwaffe, die 9-mm-Heckler&Koch -Pistole P7, entbrannt.

Am Ostermontag um 21.33 Uhr wollte sich ein VW-Polo-Fahrer einer Fahrzeugkontrolle entziehen. Wenig später stellte ihn eine Streifenwagenbesatzung. Die Beamten stiegen aus und zogen - so die Polizeiversion - „zur Eigensicherung die Dienstwaffe“. Zur Überprüfung des 18jährigen aus Weilheim kam es nicht mehr. Ihn traf aus drei Metern durch das geöffnete Fenster eine 9-mm-Kugel am Kopf. Das Opfer schwebt noch in Lebensgefahr. Die Polizei gab später an, der 18jährige habe keinen Führerschein besessen und 1,12 Promille gehabt.

Mit der berüchtigten „Bayern-Pistole“ P7 sind damit im letzten halben Jahr vier Menschen getötet bzw. Verletzt worden. Am 9. September 1989 traf ein Polizist in Würzburg einen 17jährigen Autoknacker tödlich in den Kopf. Über die Zulassung der Anklage wegen fahrlässiger Tötung ist bis heute nicht entschieden. Am 23. November wurde ein 22jähriger in Neumarkt aus der Dienstwaffe eines Zivilfahnders tödlich in den Kopf getroffen. Der Justizpressesprecher wies damals eine „übermäßige Sensibilisierung“ durch das wenig Tage zuvor stattgefundene Massaker im oberpfälzischen Laaber mit vier Toten und einer anschließenden Geiselnahme bis Neumarkt als „reine Spekulation“ zurück. Am 28. Dezember wurde in München ein Mann schwer verletzt, der sich einer Festnahme widersetzen wollte.

Die Besonderheit der P7 liegt darin, daß die Waffe keine Sicherung im herkömmlichen Sinn besitzt. Bei ihr genügt ein leichter Druck der unteren Finger auf den Handgriff, um die Waffe nahezu automatisch zu entsichern. Schon kurz nach ihrer Einführung hatten Experten vor der P7 gewarnt, da sie „gerade in Streßsituationen gefährlich“ sei. Mittelfrankens Polizeipräsident Ziegenaus räumt nun indirekt diese Streßsituation ein. Die Beamten hätten natürlich im Kopf, daß erst sechs Tage zuvor ein Polizist in der Nähe von Aachen bei einer Kontrolle erschossen worden ist. „Sie wußten ja nicht, wer im Wagen sitzt. Es hätte genausogut ein Schwerverbrecher oder Terrorist sein können.“

Bernd Siegler