Was sich die Regierung wünscht:

Alles wird besser, alles wird besser, aber ...  ■ K O M M E N T A R E

Die Volkskammer klatschte sich ein. Ministerpräsident de Maiziere zählte auf, was sich alles zum Besseren wenden wird: wir werden umweltfreundlicher produzieren, die Verkehrswege werden leistungsfähiger sein, der Städtebau wird gefördert werden, keiner soll mehr 16 Jahre auf ein Telefon warten müssen, ein differenziertes und flexibles Bildungswesen soll geschaffen, die Familie unterstützt, die Kranken und Alten geschützt, das Gesundheitswesen entwickelt werden usw.

Wer in der Vergangenheit das zweifelhafte Vergnügen hatte, daran teilzunehmen, wenn einer der führenden Genossen der SED eine gesellschaftliche Gesamtschau veranstaltete (fünf Sätze zum Transportwesen, zwei Sätze zur Bildungspolitik usw.), der wird sich vielleicht erinnern, daß die ehemals führende Partei bei solchen Gelegenheiten vor allem ihren Willen bekundete, jeden gesellschaftlichen Bereich zum Besten zu führen. Der administrativ- bürokratische Führungsstil, der für die neue Regierung Wurzel allen Übels der Vergangenheit war, hatte in diesen Gesamtschauen seine politische Entsprechung gefunden. Die Partei'die sich als Hauptgarant für die Lösung aller gesellschaftlichen Probleme begriff, schien in ihrem Verständnis ihre Mission gegenüber dem Volk erfüllt zu haben, wenn sie darstellte, was sie anstrebt, und nicht, mit welchen Mitteln sie arbeitet, welche Probleme sie sieht, welche Grenzen sie hat. Eben deshalb blieben diese „politischen Orientierungen“ so indifferent für den, der in der Vergangenheit selbständig politisch entscheiden mußte. Dieser Führungsstil stellte weniger den Sozialismus als die Potenzen einer Repräsentativdemokratie für wirklich demokratische Entscheidungsfindungen in Frage- nämlich die Anmaßung, die darin steckt, wenn festgeschrieben wird, daß bestimmte gesellschaftliche Kräfte vom Standpunkt der Gesellschaft, des Volkes aus entscheiden müssen, wie der Kuchen zu backen und zu verteilen ist.

Vielleicht haben wir jetzt eine Regierung, die die Kunst beherrscht, den Kuchen zu essen und ihn gleichzeitig zu behalten, um ihn morgen oder übermorgen nochmals zu verzehren. Doch was passiert, wenn es Prioritäten zu setzen gilt zwischen ökonomischen Forderungen und sozialen Ambitionen, wenn sozialpolitische Maßnahmen noch nicht durchführbar sein werden? Auf welcher Grundlage soll die selbständige Entscheidungsfindung im Sinne des Gemeinwohls erfolgen, die die neue Regierung nun befördert wissen will? Welches sind die wirtschafts-, finanz-, sozial- und kulturpolitischen Maßnahmen, die Mittel, mit denen sie das Ziel erreichen will? Welche Konsequenzen sind mit dem Einsatz dieser Mittel verbunden, welche davon überschaut die neue Regierung, welche noch nicht? Was von dem, was sich nach der Regierungserklärung zum Besseren wenden soll, kann die neue Regierung verantworten und wie?

Eine Antwort auf diese Fragen sucht man in der Regierungserklärung von Lothar de Maiziere vergeblich. Allein die Auflistung dessen, was man sich für die Zukunft wünscht, ist noch kein Regierungsprogramm. Doch ist zu vermuten, daß das Bekenntnis der neuen Regierung zur sozialen Marktwirtschaft sie ebenfalls der Forderung enthebt, ein wirkliches Programm haben zu müssen. Bedeutet doch - wie Elmar Pieroth im März 1981 sagte - soziale Marktwirtschaft nichts weiter, als den einfachen und klaren Maximen Ludwig Erhards zu folgen, daß nämlich der Staat der Versuchung wiederstehen muß, „wirtschaftliche Dynamik und sozialen Fortschritt durch eigene Tätigkeit und in eigener Regie direkt herbeiführen zu wollen.“

Somit wäre es das Resultat der demokratischen Revolution der DDR vom Oktober 1989, daß wir die Herrschaft einer Partei, die aber auch alles politisch verantworten wollte, gegen eine Regierung eintauschen, die nichts von dem, was gesellschaftlich erreicht werden soll, letztlich verantworten kann.

Michael Wendt