Lebender Mann wurde zur weiblichen Leiche

 ■  Bremerhavenerin wegen Tötung ihres weiblichen

Lebensgefährten vor Gericht

Vor der zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts begann gestern der Prozeß gegen eine 32jährige Frau aus Bremerhaven, die sich dort wegen Totschlags verantworten muß. Ihr wird zur Last gelegt, im März 1989 die damals 49 Jahre alte Irmtraud B. durch einen Messerstich in den Bauch so schwer verletzt zu haben, daß die an den Folgen verstarb. Die Staatsanwaltschaft ging bei der Anklageverlesung von erheblich verminderter Schuldfähigkeit aus, da die Angeklagte, die seit einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt, zur Tatzeit unter erheblichem Alkoholeinfluß stand.

Marlies N. ist geständig und fassungslos. Über ihre Tat und über ihr Opfer. Vier Jahre lang lebte sie mit ihm zusammen, teilte Bett und Tisch, erlebte zärtliche Intimität und handfesten Krach, der Verlobung sollte bald die Hochzeit folgen - und erst von der Kriminalpolizei erfuhr sie, daß ihr Peter in Wahrheit eine Frau sei. „Ich war erschrocken, weil

ich das nicht wußte“, erinnert sie sich heute an die Situation, als die Vernehmungsbeamten ihre „lesbische“ Beziehung erörtern wollten.

Peter Irmtraud B., in Männerkleidung, mit Herrenfrisur und dunkler Stimme, war ihr bei einer Gartenparty begegnet und gleich sympathisch gewesen. Nach knapp einem Monat zogen beide in eine gemeinsame Wohnung und lebten von spärlichen 540 Mark Sozialhilfe. Sie war glücklich, nach zu vielen schlechten Männererfahrungen endlich einen gefunden zu haben, der sie nicht bedrängte, der sie nicht schlug und nicht bedrohte. Peter war kleiner, ihr körperlich unterlegen und in der Liebe in manchen Dingen sehr zurückhaltend. Was sie als sehr angenehm empfand. Und ihre Biographie liefert dafür verständliche Gründe. Die Eltern früh geschieden, von der Mutter nie Zärtlichkeiten, nicht nur vom Stiefvater sexuell belästigt, mit 13 auf Initiative der Mutter ohne eigenes Wissen sterilisiert - die

Befriedigung über die Beziehung zu Peter scheint so groß gewesen zu sein, daß der kleine Unterschied zwischen Schein und Sein keine Rolle spielte.

Wenn nicht der unmäßige Alkoholkonsum den Beiden zu oft die Zuneigung vergällt hätte. Immer dann, wenn sie getrunken hatten („Wir haben ordentlich getrunken“) war Marlies N. „jähzornig“ und „aggressiv“, hat ihn geschlagen und aus der Wohnung gesperrt. Streit gab es aus Gründen, die das Gericht für „nichtig“ hält: wegen ihrer drei Katzen („meine Kinder“), wegen der Telefonrechnung und den Schulden bei Quelle. Und so war es auch am Tattag gegen Mittag: Weil sie sich nicht einigen konnten, ob die Telefonrechnung am Freitag oder Montag bezahlt werden sollte, kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung. Er beschimpfte sie und irgendwann (sie erinnert sich kaum) hat sie mit dem Brotmesser zugestochen. Vorher war ein ganzer Kasten Bier zu viert geleert worden.

anh