FAST EIN PARISER EXILLEBEN

■ Wie wohnen Männer wirklich? - Männer sprechen über Räume, Rausschmiß, Rosen

„Jeder Mensch trägt ein Zimmer in sich. Diese Tatsache kann man sogar durch das Gehör nachprüfen. Wenn einer schnell geht und man hinhorcht, etwa in der Nacht, wenn alles ringsherum still ist, so hört man zum Beispiel das Scheppern eines nicht genug befestigten Wandspiegels.“ (Kafka, Hvb, S.41)

Köpenicker Straße: Horst, 27, gebürtiger Kieler, ungelernter Arbeiter, Politaktivist, kam nach Berlin, um an der SfE (Schule für Erwachsenenbildung) seinen Realschulabschluß nachzumachen. Zur Zeit lebt er in Untermiete, bei Freunden von Freunden. Er spricht über alte Kieler Wohnungen und seine jetzige - kaum sechs Quadratmeter große - Bleibe.

In Kiel haben sie mich schwarz wohnen lassen. Wir waren zu dritt drin - mit Ausblick auf den Horton-Parkplatz... Das war noch um einiges härter als hier. Einer von uns fragte mal den Vermieter: „Wieviel kostet denn die Wohnung?“, und der Vermieter fing an zu lachen: „Wohnung?!“

Die Wohnung war im vierten Stock. Im Erdgeschoß waren zwei Klos für acht Mietparteien. Wenn man scheißen mußte, mußte man vier Treppen runterrennen - auch im Winter. Mein Zimmer war ein umgebauter Dachboden und vielleicht acht Quadratmeter groß. Da stand noch eine Badewanne rum, auf die hatte man eine Tür gelegt, und auf der Tür stand ein Fernseher. Wir pißten immer ins Waschbecken, weil es zu weit war, vier Treppen runterzulaufen. Zwischen Waschbecken und Badewanne muß es irgendeine Verbindung gegeben haben, in Form einer Rohrleitung oder so, denn es hat nie gestunken. Aber irgendwann schwappte alles über, und es kam heraus, daß die ganze Zeit die Pisse mit hineingelaufen war. Das war wirklich hart. Irgendwann sind wir rausgeflogen, weil wir fünf Monate keine Miete bezahlt hatten.

Die Tür eingetreten

Danach hab‘ ich in so einem Garanta-Wohnblock gewohnt, in einer Ein-Zimmer-Wohnung mit sogenannter Kochnische, einer schrottigen Herdplatte. Das war die deprimierendste Wohnung, die ich erlebt habe, mehr Legebatterie als Wohnung. Bei der Einweihungsparty wäre ich schon fast wieder hinausgeflogen. Der Hausmeister wohnte direkt über mir. Seine Frau putzte alle vierzehn Tage die Klos. Der Hausmeister hatte einen Zettel rangemacht, daß er es satt habe, daß da immer die Scheiße herumfliegt: „Wenn ihr euch nicht wie gesittete Menschen benehmen könnt, dann schließ‘ ich das Klo ab, dann könnt ihr woanders scheißen gehen.“ Einer hat da drunter gemalt: „Dann scheiß‘ ich dir vor die Tür!“ Der Hausmeister hat dann rangeschrieben: „Versuch das mal!“ Wir haben uns dann vorm Ausziehen überlegt, ihm doch tatsächlich vor die Tür zu scheißen. Das haben wir dann aber doch nicht gebracht.

Einmal war noch die Härte passiert: Ich wollte am nächsten Tag nach Brokdorf und eine Gasmaske mitnehmen. Das Zimmer war aber abgeschlossen. Ich hab‘ dann einen Staubsauger genommen, um die Tür einzuschlagen. Ich hatte schon tausend Löcher in das Holz gehauen, als der Hausmeister entsetzt neben mir stand: „Was machen Sie denn da?!“

Einmal war ein Freund von mir auf Besuch. Es war Winter, hinter ihm war die Tür zugefallen, und der Schlüssel klemmte. Da gab's so einen Trick, zum Öffnen, den kannte er nicht. Außerdem war er schon ziemlich angetrunken, und was sollte er machen. Hat er eben die Tür eingeschlagen.

Das Schöne war, daß mein Bruder später kam und den Chef mimte: „Meinem Bruder hier die Tür eintreten - das geht doch nicht.“ Als ich kam, saß mein Bruder auf meinem AK -(Arbeiterkampf; d.A.)Stapel, und die Tür interessierte mich überhaupt nicht. Ich hab ihn nur angebrüllt: „Runter von meinen Zeitungen! Sofort aufstehen!“

Ich war da fast ein Jahr in der Wohnung. Wir hatten monatelang keine Miete bezahlt und sind dann rausgeflogen.

Heizung sparen im Cafe

Dann bin ich nach Berlin gegangen. Es war mir ziemlich egal, wie vollgestopft der Wohnungsmarkt ist, und außerdem war ich ja auch in Kiel rausgeflogen. Das Zimmer haben mir Freunde vermittelt und so wohne ich hier halt zur Untermiete. Aber zu dieser Wohnung hab‘ ich nicht so viel zu sagen. Das kommt dann später, wenn ich wieder ausziehe.

Der Ofen funktioniert nicht, ist immer Durchzug. Da muß man sich halt eingewöhnen. Mitunter geh‘ ich ins Cafe; das kommt mich billiger, als zu heizen. Wenn ich mir einen Kaffee bestelle und zwei, drei Stunden herumsitze, dann ist das effektiver und streßfreier, als wenn ich hier alle zwanzig Minuten den Ofen anheizen muß. Ich führ‘ also schon richtig ein Pariser Exilleben. Die hatten auch immer nur das Geld, sich ein Glas Wasser zu bestellen und dann den ganzen Tag herumzusitzen.

Gneisenaustraße: Kurt, Jura studierender Politaktivist, 28, wohnt im Parterre, Hinterhof, in einer Zweck-WG in Kreuzberg. Kein Sonnenschein kommt ins Zimmer; acht Meter vor dem Fenster ist eine Brandmauer.

Meist waren das größere und eher leere Zimmer, in denen ich bis jetzt gewohnt habe. Ich hab‘ nie so etwas wie Betten gehabt, sondern immer eher Kisten. Eigentlich hab‘ ich nie Möbel gehabt. Das ist zum Beispiel ganz klar, daß dieser Schaukelstuhl mir nicht gehört, sondern aus E.s Zimmer ist. Meistens waren die Zimmer ziemlich unaufgeräumt, im Gegensatz zu diesem Zimmer auch immer ohne Teppich. Wenn Teppiche vom Vormieter drin waren, waren das Schmierteile widerlichster Art. Früher habe ich noch mehr versucht, Kleinkram wie Fotos unterzubringen, nette kleine Ecken zu machen.

Im Anfall Teppich gekauft

Einen richtigen Plan hatte ich nie, wenn ich irgendwo eingezogen bin. Wegen meiner wenigen Sachen gab es nur die grundsätzliche Entscheidung, in welche Ecke der Schreibtisch und in welche das Bett kommt. Nur zwischendurch dachte ich, ich müsse was machen. Denn ich fühl‘ mich natürlich auch nicht wohl, so wie ich wohne.

Wenn ich mein Zimmer ganz besonders eklig finde, gehe ich raus, dann bin ich ständig nicht zu Hause. Oder wie jetzt: Da Gudrun (Mitbewohnerin in der WG) gerade zwei Wochen in Westdeutschland ist, hause ich meistens da, weil ich ihr Zimmer ganz nett finde.

Manchmal krieg‘ ich auch so meine Anfälle. Wie letztes Jahr. Da hab‘ ich ganz viel Geld verdient, um was aus meinem Zimmer zu machen. Ich habe mir dann einen Futon gekauft und mir diesen Teppich - der war ziemlich teuer, dreihundert Mark -, ein zweites Bücherregal und viele Pflanzen - die sind ziemlich schnell hinüber gewesen. Ich dachte, die Ungemütlichkeit würde auch daraus entspringen, daß das Zimmer so groß und so karg ist. Sonst hatte ich ja immer die Bücherregale an die Wand gestellt, jetzt setzte ich sie mitten rein als Raumteiler und noch eine ganz dicke, fette Topfpflanze daneben. Ich hatte mir das so vorgestellt: Hier ist der Schreibtisch; hier sitz‘ ich und arbeite; und hier ist quasi der Bettbereich. Na ja; rausgekommen ist nicht viel.

Wenn ich mir Einrichtungssachen kaufe, schau‘ ich nicht lang herum. Den Teppich zum Beispiel: Da steht irgendwo 97,90 - und das kauf‘ ich mir dann. Ist ja auch furchtbar nervig, in so einen Teppichladen zu gehen. Mich hat natürlich total geärgert, daß dieser Teppich nach ein paar Wochen schon wieder total schmantig aussah. Ich hätte natürlich einen dunklen kaufen müssen.

Ich bin total selten hier. Arbeiten tue ich meistens an der Uni oder so. Und wenn ich Zeit hab‘ und lesen will, geh‘ ich rüber ins Cafe und les‘ da.

Am liebsten ein Fertigzimmer

Ich hab mir auch schon manchmal überlegt, woher das so kommt, daß ich mich in meinen Zimmern nicht wohl fühl‘. Ich bau‘ mir natürlich immer auch ganz schnell Brücken: „Das lohnt sich ja auch gar nicht bei dem Zimmer - man muß ja nur mal rausgucken.“ Ist ja auch superdeprimierend, daß hier nie direktes Licht reinkommt.

Vielleicht hängt das auch damit zusammen, daß ich keine besonders künstlerische Ader habe. Es gibt ja Menschen, die haben auch nur Sperrmüll und machen sich daraus großartige Zimmer. Das krieg‘ ich nie hin - bei mir sieht das immer so merkwürdig und holzig aus, irgendwie ungehobelt. Ich find's immer nur deprimierend. Oder nett. Und mutig.

Wahrscheinlich ist es auch so, daß ein anderes Leben dafür Voraussetzung wäre. Ich bin ja ständig unterwegs und nur sporadisch hier. Deshalb lass‘ ich eben immer alles stehen und liegen. Vielleicht bin ich auch viel draußen, weil ich das nicht hinkriege, keine Lust habe, es mir gemütlich zu machen. Ich krieg's manchmal einfach nicht geregelt. Meine Anlage ist zum Beispiel seit einem halben Jahr kaputt. Das ist eigentlich 'ne Kleinigkeit, würde nicht mehr als zwanzig Mark kosten. Aber die Anlage steht seitdem da herum, und dann sage ich mir eben, so wichtig ist Musik ja auch nicht. Und geh‘ dann ins Cafe, weil da ja nette Musik ist.

Am liebsten würde ich ein Zimmer haben, das fertig eingerichtet ist. Oder wenn man jemand hätte, der einem das Zimmer ständig in Ordnung hält: das fänd‘ ich großartig.

Köthener Straße: Jürgen D., 52, Arbeiter in Rente, jetzt Hauswart. 25 Jahre hat er in einer 4-Zimmer-Wohnung mit seinem Freund Werner gewohnt. Dann ist der Werner an „Strahlkrebs“ gestorben. Der Hauseigentümer machte aus der 4 -Zimmer-Wohnung eine 1- und eine 3-Zimmer-Wohnung. In der 1 -Zimmer-Wohnung wohnt jetzt „der Schneider“, die andere hält Jürgen D. weiterhin. Mittelpunkt der Wohnung ist das Schlafzimmmer, dahinter die Küche. Dort guckt er oft fern. Auf dem Tisch steht eine Filterzigaretten-Drehmaschine in Orange.

Zuvor hatte hier so ein komischer Bengel mit seiner blinden Tante oder Oma gewohnt. Er mußte raus, weil er keine Miete bezahlte. Die Helga von gegenüber sagte damals: „Da wird oben 'ne Wohnung frei.“ Da hat sie sich mit uns in Verbindung gesetzt, hat 'ne kleine Belohnung gekriegt... Die Wohnung war total verwohnt. Wir haben hier viel Geld reingesteckt: Hier 'ne Decke runtergezogen, da 'ne Decke runtergezogen, alles ausgelegt und so weiter. Im Wohnzimmer ging damals noch der Kachelofen vom Fußboden bis unter die Decke; ein hübscher Ofen, mit Engeln, verschnörkelt und so. Wir Idioten haben den rausgerissen... Und in der Küche war eine große Kochmaschine - was sollten wir mit dem Scheiß. Kauften uns einen neuen Ofen - der geht heute noch. Im Winter tue ich da immer die Handtücher rein - brennen tut's ja nicht. Die sind dann im Nu wieder trocken.

Nach der Arbeit: Eintopf

Das ging ja nicht auf einmal alles, mit der Einrichtung. Ich war damals - warte mal - im Betrieb beschäftigt bei Willi Feiler. Der eine, Harald hieß der, der war vom Meister der Liebling, und deswegen bin ich geflogen. Nicht nur ich, noch zwei- oder dreihundert und mehr wurden entlassen - wie das Schicksal eben so spielt. Da hat mein Freund Werner zu mir gesagt: „Komm mit mir auf den Bau.“ Das hat gut geklappt mit ihm zusammen, auch wenn wir manchmal wie Hund und Katze zueinander waren. Ich mußte immer darauf hören, was mein Freund sagte, blieb mir gar nischt anderes übrig. Aber wenn wir nach Hause kamen, habe ich gesagt: „Du Aas, hast mir auf der Arbeit gepickt“ - da hab‘ ich ihn hier zu Hause gepickt. Er hat das Essen vorbereitet, und ich bin mit dem Hund Gassi gegangen. Schon auf der Arbeit hatten wir verabredet: Was essen wir heute, was essen wir heute. Und weil ich gerne Eintopf esse, hat er den dann oft schon vorgekocht. Dreieinhalb Jahre war ich auf'm Bau. Dann hab‘ ich den Unfall gehabt, bin vom Gerüst gefallen. Dann war das Bein kaputt. - Schade!

Ja, die Einrichtung: Wir sind losgezogen. Werners Mutter kam auch mit, die kann sehr gut schneidern, und sie hat später die Stores für uns genäht. Ich habe die Küche gekauft, und Werner hat die lange Schrankwand gekauft.

Ein Bett ist ein Bett

Ulkig war es mit dem Schlafzimmer. Er wollte eine Couch haben, aber ich sagte: „Du, ich mag das nicht.“ Ein Bett ist ein Bett. Ich wollte auch gern ein Bad haben. Da kam Werners Meister und sagte: „Jürgen, du kriegst dein Badezimmer.“ Die Badewanne holten sie vom Bau. Die Duschwanne und den Boiler hat Werner gekauft.

Die Tage waren nicht alle gleich... Ich hab‘ ja jeden Tag saubergemacht. Aber alles auf einmal schaffst du sowieso nicht. Abwaschen, saugen, Fenster putzen - die Stores hat mir Werner immer angemacht. Zwei Kästen Pflanzen hab‘ ich gepflegt, Werner hat die anderen gepflegt. Wenn mir das zuviel war, hab‘ ich zu Werner gesagt: Also, Werner, du mußt mir mal mithelfen. Er hat ja auch saubergemacht, aber er hat keinen Staub gewischt. Saubermachen war mein Job. Er hat gekocht, weil ich nicht kochen kann. Ein Mensch kann ja nicht alles tun. So hatten wir uns im großen und ganzen gut verstanden.

Der Boß im Hause war er, aber das letzte Wort hab‘ immer ich gehabt. Wenn ich zu ihm sagte: „Werner, wollen wir uns nicht das und das anschaffen?“ sagte er: „Das ist zu teuer.“ Na ja, es dauerte nicht lange, da war's in der Wohnung. Ich hab‘ nie gesagt: „Du, ich will das haben!“ Ein Mensch hat nichts zu wollen! Das gab's bei uns nicht.

Eigentlich sind wir mit der Wohnung nie fertig geworden. Nachdem der Werner gestorben war, wurde die Wohnung aufgeteilt. Wo früher das Wohnzimmer war, ist jetzt das Schlafzimmer. Das Bett ist auch kaputtgegangen. Ich hab‘ jetzt eine französische Doppelliege, die Werner schon gar nicht mehr kennt. Die sollte achthundert kosten, und ich hab sie für 499 gekriegt. Oben ist ein kleines Loch, deshalb war sie billiger. Da hab‘ ich jetzt 'ne Rose (aus Kunststoff) draufgeklebt, rechts und links, damit's gleichmäßig aussieht, und in der Mitte einen Schmetterling.

Sobald es aber warm wird und ich 'n Vogel kriege, hau‘ ich ab, fahr‘ ich nach Hertie hoch, nach Neukölln oder nach Steglitz. Oder am Anhalter Bahnhof. Da treffe ich immer welche. Kommt der und der mal vorbeigeschissen. Ach ja...

Interviews: Detlef Kuhlbrodt