„Was G'tt wirklich will, sagt er uns...“

■ Die 'Jüdische Allgemeine Wochenzeitung‘ druckte in ihrer letzten Ausgabe von 1989 eine Entgegnung von Landesrabbiner Dov-Levi Barsilay auf Franz Alts Antwort auf Micha Brumliks Kritik an seinem Buch „Jesus - der erste neue Mann“

Dov-Levi Barsilay

Um es gleich vorweg zu sagen: Die Äußerungen Dr.Franz Alts in der 'Allgemeinen‘ vom 1.Dezember 1989 verdienen keine Antwort von rabbinischer Seite. Das Wissen, das er über Bibel, über jüdische Begriffsauffassung und Textauslegung sowie über die jüdische G'ttesvorstellung an den Tag legt, ist überhaupt keine Diskussionsgrundlage; auch dann nicht, wenn er, wie er selbst behauptet, Theologie als Wahlfach betreibt. Die freiwillige Beschäftigung mit der Theologie und eine eigene, ja eigenwillige Auslegung von Bibeltexten ist noch kein Freibrief für antijüdische Publikationen.

Die Zeiten, in denen Juden sich diesem Stil argumentativer Auseinandersetzung anzupassen hatten, sind vorbei. Wenn man ein Buch rezensieren will, muß man es lesen und zu verstehen versuchen, und wenn man eine „theologische“ Position beschreiben und kritisieren möchte, muß man sie wenigstens korrekt wiedergeben können.

Trotzdem will ich Dr.Alts Artikel nicht für sich stehenlassen, wie, um auf ein benachbartes Gebiet zu verweisen, die Beiträge der Diskutanten im „Positivismus -Streit“ der Philosophen der sechziger Jahre. Hier war jedem aufmerksamen Leser deutlich, welcher der Teilnehmer am Diskurs sich die Mühe gemacht hatte, die gegnerische Position zu verstehen, und wer es vorzog, eine Strategie des „target-making“ zu verfolgen, die statt der tatsächlich vorgetragenen Argumente lieber einen zuvor selbstgebastelten Popanz angreifen und intellektuell erlegen wollte.

Herr Dr.Alt argumentiert in einem anderen diskursiven Rahmen, und er verfolgt eine Strategie des target-making, die in jenem Rahmen zu geschichtsmächtig und zu verhängnisvoll gewirkt hat, als daß man darauf hoffen könnte, daß die offensichtliche Unredlichkeit, mit der er seine Absichten formuliert, den Verfasser ohne weitere Erläuterungen ausreichend kompromittiert.

Es muß dabei in Kauf genommen werden, daß jeder Versuch einer klärenden Richtigstellung den Diskutanten auf der jüdischen Seite zurückzwingt in die jahrhundertealte, demütigende Position des interreligiösen Gesprächs, für die das berühmte Gespräch des RaMBaM im Barcelona des 13.Jahrhunderts ein sehr bekanntes Beispiel ist.

Meine Entscheidung, zum bösen Spiel noch einmal gute Miene zu machen, diesmal freiwillig und ohne drohende Zwangspause oder folgendes Pogrom, halte ich gerechtfertigt durch die geschichtliche Tatsache, daß das von Herrn Dr.Alt vorgeschlagene Spiel eben faktisch traditionell, eben in dieser Weise für die Juden endete, und zur Erinnerung an die wie zur Ehre der Märtyrer gezeigt werden muß, daß, auch wenn der letzte Akt augenblicklich nicht mitaufgeführt wird, niemand sich das Recht nehmen darf, die ersten Szenen wieder aufzuführen und dabei zu behaupten, hier handele es sich um eine Komödie und er selbst sein kein Antisemit.

Juden haben es heute nicht mehr nötig, „theologische“ Demagogie wie die Dr.Alts ernsthaft und sachlich als Demagogie durchsichtig zu machen und zu entlarven. Da man es Herrn Dr.Alt aber nicht durchgehen lassen kann, daß er sich offen durch die Struktur und den Inhalt seiner Argumente in die Tradition des Antisemitismus einreiht, trotzdem aber darauf besteht, daß er kein Antisemit sei, ist es notwendig, Struktur und Inhalt seiner Rede kurz näher anzusehen. Nicht, wie bereits erwähnt, weil ihre Qualität eine solche Auseinandersetzung rechtfertigte, sondern weil es nicht mehr zulässig ist, öffentlich scheinbar philosophisch seriös nach der Wahrheit zu fragen und nach dem Wasser der Unschuld zu verlangen, nachdem man sich spirituell in die Reihe der Mörder gestellt hat. Nicht der ist Antisemit, dessen intellektuelle Kraft ausreicht, sich selbst als Antisemiten zu erkennen, sondern der ist Antisemit, der objektiv die antisemitische Tradition forttreibt oder fortschreibt. Was Herr Dr.Alt in seinem Artikel leider getan hat.

Der christlich-jüdische „Dialog“, soviel geschichtliches Wissen darf wohl vorausgesetzt werden, war durch die Jahrhunderte keineswegs am Ideal des herrschaftsfreien Diskurses orientiert. Seit dem Beginn der Auseinandersetzung haben es Christen für richtig und notwendig gehalten, die Grundlehren ihrer Religion zu konturieren in der polemischen Auseinandersetzung mit der jüdischen Tradition. Das Grundmuster dieser Polemik ist immer gewesen, den Geltungsanspruch der jüdischen Schriftauslegung und der Ergebnisse ihrer Anwendung begründungslos zurückzuweisen, jüdische Positionen nur in christlicher Verzerrung zur Kenntnis zu nehmen und die argumentative Zerstörung des Zerrbildes als den Sieg der christlichen Glaubenswahrheit zu feiern.

Die polemische Universalwaffe der Christen war dabei zu jeder Zeit das Übergehen der „Tora sche-be'al peh“, der mündlichen Tora, also das Ignorieren der jüdischen Auslegungstradition. Ein Mensch aber, theologischer Laie oder professional, der ohne Zweifel über die fundamentalistische Naivität erhaben ist, muß wohl zur Kenntnis nehmen, daß es nicht nur schlechter Stil ist, wenn er die mündliche Lehre und die an sie anschließende rabbinische Auslegungstradition schlichtweg ignoriert, sondern auch, daß ohne deren Kenntnis für den religiösen Juden die Auslegung der schriftlichen Tora unmöglich ist, weil sie durch das in die Tiefe gehende Lernen und Forschen, das seine Väter und Vorväter betrieben, im Laufe vieler toratreuer Lebensgeschichten geschärft wurden.

Wer nicht als Antisemit gelten will, wer sich für einen christlich-jüdischen Dialog qualifizieren möchte, der diese Bezeichnung verdient, der muß sich ein für allemal entschließen, zur Kenntnis zu nehmen, daß ein Jude nun einmal kein Christ ist, daß er nicht denkt und entscheidet wie ein Christ, daß er keinen G'ttesbegriff besitzt, wie ihn die christlichen Kirchen über die mittelalterliche Attributenlehre entwickelt haben, und daß man seinen Auffassungen näherkommt durch statistische Zählung christlich gedeuteter G'ttesnamen.

Ich betrachte es nicht als meine Aufgabe, Herrn Dr.Alt über jüdischen Umgang mit dem Namen G'ttes zu belehren. Herr Dr.Alt wird wissen, wie man eine Bibliothek benutzt, und dieses Wissen hätte ihm jede Möglichkeit gegeben, sich über dieses Thema kundig zu machen, hätte er einen entsprechenden Wunsch gehabt. Nicht erst rhetorische Keulen wie die Mitteilung, daß in Abbas Namen bestimmte Waffengattungen, Genozid sowie die Mißhandlung von Frauen und Kindern abzulehnen sei - wobei unterschwellig suggeriert wird, HaSchem Zeba'oth habe an all diesen Taten Wohlgefallen -, oder die Anwendung des Bitburg-Tricks der kategorialen Identifikation der Mörder mit ihren Opfern wider alle historische Erfahrung - „Der G'tt Moses war grausam und zum Fürchten, dem fürchterlichen G'ttesbild entspricht blinder Gehorsam und Menschenverachtung, daher der Völkermord während der Landnahme einerseits und Auschwitz, Hiroshima und Nagasaki andererseits“ - zeigen, daß hier argumentiert wird nach dem Muster der Werke aus der schlimmsten Zeit der deutschen Geschichte, in denen durch kontextlose Zitatsammlungen aus dem Talmud bzw. durch Heranziehung der fingierten und berüchtigten Protokolle der Weisen von Zion „bewiesen“ wurde, daß das „Weltjudentum“ oder das „internationale Judentum“ seit dem Auszug aus Ägypten den Untergang der arischen Herrenrasse plane und die Herrschaft über alle Menschen anstrebe.

Wer so schreibt, schreibt in der Tradition des kirchlichen Antijudaismus, ebenso wie jener, der bis heute nicht zur Kenntnis nehmen will, daß die Zeit vorbei ist, in der es sich Christen leisten konnten, ihren zärtlichen Abba von einem grausamen alttestamentarischen Racheg'tt abzusetzen, in der alle ins Christentum geretteten Wertvorstellungen und Moralbegriffe der Tora - repräsentativ sei hier die Nächstenliebe oder besser die „christliche Nächstenliebe“ aufgeführt - als reine christliche Ideen präsentiert werden konnten. Der Racheg'tt ist eine christliche Erfindung, die Auseinandersetzung mit und die Abschaffung von ihm ist innerchristliches Schattenboxen und sollte nie wieder unter dem falschen Etikett interreligiösen Dialogs zelebriert werden.

Und noch eins muß an dieser Stelle betont werden: Der jüdische Umgang mit dem Buch, das die Christen das Alte Testament nennen, unterscheidet sich grundlegend von christlicher Theologie. Wie wir zu unserem G'tt stehen, läßt sich weniger ablesen an jüdischem Reden über IHN, als vielmehr an unserer täglichen Anrede an IHN. Allein zwei Abschnitte des täglichen Morgengebets, nämlich Adon Olam und Jigdal spiegeln jüdische Auffassung der von Herrn Dr.Alt angesprochenen Punkte. Unsere Lehrer haben immer schon gewußt, und wir wiederholen diese Einsicht täglich betend, daß alle Rede von G'tt ausschließlich Rede „alpi adam“, durch den Mund und gemäß dem Verstand des Menschen ist, und daß deshalb nicht nur die vermenschlichte Vorstellung wie die vom „Arm“ oder auch vom „Zorn“ G'ttes mit kritischer Distanz verstanden werden muß, sondern auch die Rede von seiner „Macht“, „Königsschaft“, selbst von „Ehrfurcht“. Dieses hermeneutische Grundprinzip ist nicht hintergehbar, nicht einmal den theoretischen Erfordernissen einer feministischen Theologie zuliebe. Hier ist die Rede immer gleichnishaft, und alle Vergleichungen des Unvergleichlichen sind weitaus problematischer als der - für meine Begriffe - primitive Vergleich der Argumente des Herrn Dr.Alt.

Im übrigen ist es für mich schon erstaunlich, daß Herr Dr.Alt nicht vermutet oder zumindest glaubt, nein, er weiß es ganz genau: „Was G'tt wirklich will, sagt er uns durch die Stimme unseres Gewissens.“ Das ist Arroganz!

Es ist nicht leicht einzusehen, warum sich Juden für Quellenkritik und -scheidung, für Thesen wie die vom G'ttesbild Abrahams und Moses‘ und den Unterschied zwischen diesen Bildern in Altscher Interpretation interessieren sollten, solange das christliche Gegenüber, hier in der Person des Herrn Dr.Alt, immer noch und unbelehrbar glaubt, sich zu jüdischen Positionen äußern zu dürfen, ohne sie offensichtlich auch nur im Umriß zu kennen.

Wir Juden müssen uns aber leider interessieren, denn unsere Umwelt hier ist immer noch nicht so beschaffen, daß man etwa die Tatsache, daß Herr Dr.Alt den „jüdischen G'ttesbegriff“ verwechselt mit seiner eigenen Vorstellung des jüdischen G'ttesbegriffes und die Bedeutung der Auserwählung des Volkes Israel so gründlich mißverstanden hat, für sein persönliches Problem erklären könnte. Welch gefährliches Unheil seriös erscheinende Publikationen von Pseudo -Wissenschaftlern bei den häufig unwissenden Lesern anrichten können, hat die Geschichte zur Genüge gezeigt.

Es ist hier sicher auch nicht der Ort, die mit Landnahme und Bann verbundenen Probleme anzureißen und den Umgang der jüdischen Tradition mit diesen Problemen anzudeuten, dem Racheg'tt einen Abriß der Ethik des Tenach, der hebräischen Bibel, gegenüberzustellen oder auch nur zu erwähnen, daß die prophetischen Schriften schließlich doch Teil dieses Tenachs sind. All dies geschah bereits an unzähligen anderen Stellen und kann dort von jedem, auch von Herrn Dr.Alt, nachgelesen werden. Dies mag aber die Stelle sein, daran zu erinnern, daß es in diesem Land jüdische Gemeinden gibt und in diesen Rabbiner und kundige „Laien“, die jedermann fragen kann, der über das Thema „Jüdische Religion“ zu wenig weiß, mehr wissen möchte und mit Büchern allein sich nicht zufriedengeben will. Wer aber auf Lektüre und Gespräch verzichtet, muß lernen, daß er außerhalb des Rahmens vernünftigen Sprechens steht und stehen bleiben muß, denn zwar mag vielleicht der menschliche Verstand der Natur ihre Gesetze vorschreiben, nicht aber vermag mehr ein Christ den Juden ihre Religion zu erklären oder gar vorzuschreiben auch dann nicht, wenn er zu den Förderern der Buber -Rosenzweig-Stiftung gehört!

Anmerkungen:

Franz Alt: Jesus - der erste neue Mann. München 1989

RaMBaM: Rabbi Moses Ben Maimon, Maimonides, 1135-1204

HaSchem: Der Name, eine hebräische Bezeichnung anstelle des nicht bzw. nur annähernd darstellbaren Namens Gottes

Tora: Die fünf Bücher Moses

Talmud: Nächst der Bibel eines der Hauptwerke des Judentums, Jerusalemer Talmud, abgeschlossen um 400 u.Z., Babylonischer Talmud um 500 u.Z.