„Der Fußball ist doch ihr Leben!“

Die Fan-Projekte fordern im Vorfeld der Weltmeisterschaft verstärkt die ideelle und finanzielle Unterstützung der Fußball-Vereine: Statt Sicherheitspolitik und Kriminalisierung soll eine vernünftige Jugendpolitik her  ■  Von Michaela Schießl

Nach der Europacup-Begegnung Köln gegen Juventus begegneten sich auch die Fans beider Mannschaften. Ergebnis: Zwei Schwerverletzte und zwölf Festnahmen.

In Berlin Ost und West, Schwerin und Jena leben Hooligans in deutsch-deutscher Einigkeit den wiederaufkeimenden Nationalismus mit heftiger Randale aus. Und als vorläufige Krönung mußte ein Spiel vorverlegt werden, damit rechtsgerichtete Fans Hitlers Geburtstag nicht etwa im Stadion feiern.

Solche Schlagzeilen lassen selbst den Deutschen Fußball -Bund (DFB) erschaudern, der bisher ganz global die Gesellschaft für die Stadionrandale verantwortlich machte.

Dabei hatte DFB-Chef Hermann Neuberger vor der EM 1988 eine Lösung des Fan-Problems parat: Die einzige Sprache, die Hooligans verstünden, wäre der Knüppel. Heute lassen der drohende Imageverlust und finanzielle Argumente den harten Mann moderatere Worte wählen. Zu viel Geld geht den Vereinen durch den Zuschauerschwund verloren, und, viel schlimmer, das Werbeumfeld für potentielle Sponsoren wird unattraktiv.

So tauchte auf der Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Fan -Projekte (BAG) am Donnerstag in Karlsruhe erstmals ein DFB -Vertreter auf. Und bekam sogleich die verdiente Schelte. Der DFB habe es versäumt, den Kontakt mit den Fan-Projekten zu pflegen, sagte BAG-Sprecher Koch und forderte fortan finanzielle Unterstützung durch Kommunen und Vereine.

Auf DFB-Gelder warten die acht Projekte bislang vergebens. So sind derzeit die Projekte in Mannheim und Dortmund in ihrem Fortbestehen gefährdet. Dagegen bot in Karlsruhe die Stadt und der KSC erstmals Geld an, und in Berlin hoben der Senat und Hertha BSC ein neues Fan-Projekt aus der Taufe.

Schon 1988 forderten die Fan-Projekte die Einrichtung ihresgleichen in allen Bundesliga-Städten unter finanzieller Beteiligung der Vereine. Die jedoch verweisen lapidar auf ihre meist ehrenamtlichen Fan-Zuständigen. „Das ist Zuschauerbetreuung, keine Fan-Arbeit“, urteilt Koch. „Dabei ist klar, daß sich die Art, wie hier jedes Wochenende Fußball zelebriert wird, auf das Fan-Verhalten auswirkt.“ Zäh macht sich aufgrund der prekären Lage ein Umdenken auch beim DFB bemerkbar. So wird der Ligaauschuß im Spätsommer den BAG hören, um die Fan-Diskussion verstärkt in die Vereine zu tragen.

Auf heftige Kritik der Fan-Betreuer stieß die Strategie der Vereine, den Kartenverkauf an die Preisgabe persönlicher Daten oder gar den Besitz eines Fan-Ausweises zu koppeln. Statt über Betreuung den persönlichen Kontakt zu suchen und die Fans dadurch an den Klub zu binden, werden die Sicherheitskräfte verstärkt und die Fans kriminalisiert.

Ironie des Schicksals: Zur selben Stunde beratschlagten Vertreter von Hertha BSC Berlin, dem Ostberliner FC Berlin und der DDR-Polizei, wie man mit verstärktem Ordner- und Polizeieinsatz den nächsten Krawallen begegnen wolle.

Zu solchartigem Säbelrasseln werden nicht selten aktionsfreudige Bereitschaftspolizisten angekarrt. Einige schlagfreudige Exemplare wurden nun von Karlsruher Schlachtenbummlern angezeigt.

Mit äußerster Brutalität seinen sie am 31.März beim Gastspiel des KSC gegen Mönchengladbach vorgegangen, hätten einen Fan solange mit dem Gesicht auf eine Eisenstange geschlagen, bis er mit doppeltem Nasenbeinbruch ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Und das, obgleich doch die Gewerkschaft der Polizei erst vor kurzem beteuert hatte, nicht mehr kostenlos als Schlägertrupps für die Vereine herhalten zu wollen.

Die nahende Weltmeisterschaft bringt den DFB mehr und mehr in Zugzwang. Die Italiener knausern dermaßen mit der Kartenvergabe, daß nur ein Bruchteil der Interessierten an die Objekte der Begierde kommen, die noch dazu mit Pauschalreisen verbunden sind. Billigstes Angebot pro Spiel: 500 bis 700 Mark. Unerschwinglich also für die meisten Fans, die sich dennoch nicht abhalten lassen werden, auf eigene Faust nach Italien zu reisen. Vor den geschlossenen Stadiontoren ist die Randale damit vorprogrammiert.

„Wir müssen schon im Vorfeld der WM menschenwürdige Bedingungen für die Fans schaffen, der Fußball ist doch ihr Leben“, appelliert Koch an den DFB und fordert 50.000 Mark für die Betreuung in Mailand. Dieser stellte die Zahlung in Aussicht, wenn die Mailänder ein sozial-kulturelles Rahmenprogramm zur Fan-Betreuung anbieten.

Davon geht Koch nach Vorgesprächen mit den Italienern fest aus. Geplant ist ein Flugblatt, daß die Fans als Gäste und nicht als Störenfriede empfängt. Informationen über die Stadt und billige Verpflegungsmöglichkeiten sollen den Fans den Eindruck vermitteln, gewollt zu sein.

Im Gespräch ist zudem ein Basiszeltlager, wo die Fans schlafen und sich mit italienischen Kollegen treffen können. „Der Fußball muß seine Fans endlich ernst nehmen und ihnen nicht den letzten Freiraum stehlen“, so Koch. „Statt Sicherheitspolitik muß endlich Jugendpolitik her.“