Das Innere der lahmen Bestie

■ Vier Jahre arbeitete die Autorin als Frauenredakteurin bei der taz, dann warf sie das Handtuch - zerrieben zwischen eigenem Anspruch und Projektalltag. Feministische Berichterstattung ist auch in der „ganz anderen“ Tageszeitung nur ein lila Feigenblatt. Ein Rückblick

Gunhild Schöller

Ausgebrannt“ - das also war es. Für meinen Zustand gab es einen Fachausdruck. Seit Monaten beherrschten mich Müdigkeit und Resignation, im Grunde langweilte mich alles und war mir zuviel. Appelle an mich selbst, endlich wieder wie früher mit Elan, Mut und Kreativität zu leben, machten mich noch unzufriedener und nervöser. Ich wollte nur noch meine Ruhe haben. Wie eine kleine Erlösung erschien da der Artikel in einer Zeitschrift für Psychologie, der über den „burn-out“ im Beruf berichtete und detailliert diese Symptome beschrieb. (...) Es treffe gerade diejenigen, die sich besonders engagierten, die sich mit ihrer beruflichen Aufgabe identifizierten. Über Jahre hätten sie zuviel gegeben und zuwenig bekommen. Ich war verschlissen - nach vier Jahren als Frauenredakteurin bei der taz, der linken Tageszeitung. Dabei sollte es doch gerade dort für eine qualifizierte Redakteurin und Feministin viele Möglichkeiten geben, sich zu entfalten.

Als ich im Herbst 1985 anfing, erschienen die Voraussetzungen günstig. Zwei Frauenredakteurinnen sollten in eigener Regie drei bis vier Frauenseiten pro Woche machen, als Hintergrund konzipierte Seiten mit ausschließlich feministischen Themen. Selbstverständlich sollten die vielen frauenpolitischen Themen nicht auf den Frauenseiten ins „Ghetto“ verbannt sein. Das wäre ja nur eine Kopie der bürgerlichen Presse mit ihrer samstäglichen Alibifrauenseite gewesen. Nein, in der taz wollte man mehr aktuelle Berichte, Reportagen und Kommentare über Frauenpolitik auf den ersten Seiten, gleichberechtigt zwischen den Texten zur „offiziellen“ Politik. (...) Nichts, was Anregung

geben könnte

Die Schreibtische in der taz quellen über von Zeitungen und Zeitschriften, die man zu lesen hat, um auf dem laufenden zu sein. Medienmenschen studieren stets aufmerksam die Konkurrenz: Die Artikel in anderen Zeitungen sind wichtig für die eigene Arbeit. Sie geben einen Nachrichtenüberblick, liefern Anregungen und Ideen für eigene Geschichten. Meine Kollegin und ich sehen die dicken Hefte und wuchtigen Blätter durch und entdecken - nichts. Nichts, was uns Anregung geben könnte für unsere Arbeit. Nur die üblichen platten Geschichten über Frauen. Die Ticker der Nachrichtenagenturen sind ebenso unbrauchbar: Es gibt keinen Nachrichtenmarkt für unser exotisches Ressort, Frauenthemen laufen unter „Vermischtes“ und sind entsprechend dümmlich, sensationsgeil oder falsch.

Das Telefon klingelt. Die Anruferin möchte die Adresse eines Frauenprojekts wissen. Die nächste will eine Veranstaltung ihres Frauenprojekts in der taz ankündigen. Die dritte ist sauer, weil über die Aktion, die sie organisiert hat, in der taz nichts zu lesen war. Die eine oder andere macht auch einen Themenvorschlag, der interessant ist. Leider stellt sich auf Nachfrage fast immer heraus, daß sie mit der journalistischen Arbeit gerade erst anfangen will. (...) Die Manuskripte sind entsprechend. Aus solchen Erstlingswerken lassen sich halbwegs spannende Frauenseiten nicht machen. Die Frauen mit Erfahrung jedoch, die Redakteurinnen der taz, winken dezent ab, wenn ich mit einem Themenvorschlag für die Frauenseite zu ihnen komme.

„O, ich habe eigentlich keine Zeit! Ich muß noch zum Thema X recherchieren und zum Thema Y ein Tagesthema vorbereiten und...“ Mit Frauenpolitik ist kein Ruhm zu gewinnen

„Vielleicht könntest du beim Thema Z, über das du neulich geschrieben hast, mal aufgreifen, was das für Frauen bedeutet, und darüber einen Beitrag für uns machen?“

„Ja, eigentlich ganz interessant. Mal sehen, ob sich das machen läßt.“

Fast niemals „läßt es sich machen“, meistens „kommt etwas dazwischen“, die Kollegin hat „Wichtigeres“ zu tun.

In der taz gibt es eine eindeutige Hierarchie der Seiten, Plazierungen mit und ohne Renommee. Die Frauenseite gehört zu den letzten. Die taz-Redakteurinnen möchten ihren Namen auf Seite 1 oder auf Seite 3 gedruckt sehen, den Schokoladenseiten jeder Zeitung. Auch jede andere Seite des aktuellen Teils der taz erscheint besser als jede Hintergrundseite. Innerhalb dieses Hintergrundteils gibt es noch einmal eine Hierarchie. Auch hier rangiert die Frauenseite weit hinten. Schließlich ahnt man, daß die nur von „ganz speziellen“ Frauen gelesen wird und daß mit Frauenpolitik kein publizistischer Ruhm zu gewinnen ist. Horror-Honorare

Die taz ist bekannt dafür, sich als kleine Zeitung überdurchschnittlich viele Korrespondenten zu leisten. Korrespondenten - denn obwohl der größte Alternativbetrieb quotiert sein soll, haben diese Posten fast ausschließlich Männer inne. Die Zuarbeit zur Frauenredaktion ist entsprechend. „Dafür habe ich sowieso keine Zeit“, antwortet V. am Telefon, als ich ihm über einen Strafprozeß berichte, den er für die Frauenredaktion beobachten soll. Dagegen erhalten die Auslands-, die Inlands - und die Wirtschaftsredaktion täglich Berichte der Korrespondenten, per Telefon werden sie über aktuelle Ereignisse und perspektivische Entwicklungen informiert. Für die meisten Korrespondenten ist klar, daß sie niemals auch nur eine Zeile zu Frauenpolitik schreiben. (...)

Damit bleiben als Autorinnen für die Frauenseiten nur die sogenannten freien Journalistinnen, die gegen Honorar für verschiedene Medien arbeiten. Sich einen „Namen“ zu machen über die taz - denn diese wird von anderen Medien heftig gelesen und ausgeschlachtet -, erscheint vielen reizvoll. Bis sie ihr taz-Horror-Honorar (das steht wirklich so auf den Honorarformularen der taz) bekommen. 55 Pfennig pro Zeile zahlt die taz, weniger als die Hälfte des sowieso schon niedrigen Honorars, das andere überregionale Zeitungen bezahlen. Professionelle Journalistinnen, die von ihrer Arbeit leben, können es sich schlicht nicht leisten, für die taz zu schreiben. (...)

Nicht nur langfristige Konzepte, auch mittelfristige Planungen lassen sich unter solchen Bedingungen nicht realisieren. Oft müssen wir Beiträge ins Blatt nehmen, die wir thematisch, stilistisch und inhaltlich zufällig und mittelmäßig finden. Häufig habe ich den Eindruck, meine Kollegin und ich müßten die Beiträge im Grunde allesamt selbst recherchieren und schreiben. Aber wer macht dann die Redaktionsarbeit?

Seit Wochen ist die Entwicklung in Polen in den Schlagzeilen auf Seite eins. Der runde Tisch, die Wahlen, die schwierige Regierungsbildung, die Rolle von Solidarnosc und die Rolle der KP - kein Aspekt bleibt unbeleuchtet. „Und was ist mit den Frauen in Polen?“ fragt Kollegin U. hartnäckig, denn die kommen nicht vor in der taz -Berichterstattung. Daß es für Polens Frauen verheerende Folgen hat, wenn der Katholizismus an die Macht kommt, weiß jeder in der Redaktion. Aber keinem der Redakteure, die für Osteuropa zuständig sind, ist diese Frage so wichtig, daß er dazu recherchierte.

„Wird denn nicht mal eine einzige Frau Ministerin in der neuen Regierung?“ bohrt die Kollegin weiter. Die Herren zucken die Schultern. Bislang seien nur die Namen von Männern gefallen. Aber in einem Land wie Polen dürfe uns das nicht wundern. U. erhält den Rat, sie solle doch mal selbst B. anrufen, der aus Polen für die taz berichtet, und ihm ihr Intgeresse mitteilen.

„Erst neulich habe ich doch über die Frauen hier in Polen geschrieben! Hast du das nicht gelesen?“ kommt von diesem die barsche Antwort. Sie kann sich an keinen solchen Artikel erinnern und sagt „nein“. Damit ist sie disqualifiziert. Selbstverständlich muß sie stets alles gelesen haben, was auf zwanzig Seiten taz täglich steht. Oder sie muß den Mund halten.

Ich kann mich an den Beitrag erinnern. Er war im Mai erschienen, mittlerweile hatten wir Spätsommer. Er handelte vom Protest einiger Warschauer Feministinnen gegen den Entwurf eines Antiabtreibungsgesetzes. Jetzt stellen sich uns neue Fragen.

Schließlich gelingt es uns, über Umwege zwei Journalistinnen zu finden, die in Polen leben und arbeiten. Sie schreiben zwei analytisch klare und erschütternde Berichte über die Lage der Frauen dort. Beide erscheinen auf den Frauenseiten. Die Berichterstattung im aktuellen Teil läuft weiter, als hätte U. nie etwas kritisiert. (...) Kleingeistige Frauenszene

Freitag Abend zehn Uhr, das Telefon klingelt. M. ist am Apparat. Ich bin etwas erstaunt, denn wir haben eigentlich nur beruflich miteinander zu tun, und jetzt ruft sie mich um diese Uhrzeit zu Hause an. Seit vielen Jahren lehrt und forscht sie zu Feminismus, „Dritte Welt“ und Ökologie; ich veröffentlichte als Redakteurin Texte von ihr auf den Frauenseiten. Zuerst erkundigt sie sich, wie mein Urlaub in Indien war - sie lebte selbst einige Jahre dort. Ich antworte mit ein paar Floskeln, mittlerweile ist mir klar, warum sie mit mir sprechen will. Es geht um die Besprechung ihres neuesten Buches. Ich hatte es C. zur Rezension gegeben, und diese hatte das politisch-theoretische Konzept, das M. vertritt, mit ihren Fragen konfrontiert und kritisiert. Für mich war die Rezension von C. ein fundierter Beitrag zur Diskussion der Thesen von M., eine Kritik, die fair und frei von persönlichen Feindseligkeiten war.

Nicht so für M. Sie ist empört über den Text und behauptet, C. hätte einen „totalen Verriß“ geschrieben, ihre Arbeit in den Dreck gezogen und nur Fragen gestellt, ohne selbst Antworten zu geben. Das Buch ließe sich nach dieser Veröffentlichung bestimmt nicht mehr verkaufen. Ich versuche M. zu erklären, daß es C.'s Recht als Leserin und Journalistin ist, die Schlüssigkeit ihres politischen Konzepts anzuzweifeln, ohne gleich einen kompletten Gegenentwurf zu präsentieren. Ich sage ihr, daß sie immer mit Kritik rechnen muß, wenn sie sich mit einem Buch in der Öffentlichkeit exponiert.

Genausogut hätte ich schweigen können. M. hat mit C. noch einen offenen Konflikt aus früheren Zeiten, wie ich ihren Äußerungen entnehme. Im Streit hatten sie ein einstmals gemeinsames Zeitschriftenprojekt verlassen. M. betrachtet C. als ihren „Zögling“, der durch sie erst gelernt habe, was Feminismus ist, sich dann von ihr abgewandt habe und ihr nun fies in den Rücken falle. Ich versuche ihr klarzumachen, daß ich auf einer solchen Ebene nicht diskutiere. Aber das will sie gar nicht mehr, es geht ihr ums Rechthaben und daß ich nun den Kotau machen und Abbitte leisten soll für meine schwere Verfehlung. Oder sie wird niemals mehr eine Zeile für die taz schreiben, noch mich grüßen, falls wir uns jemals wieder treffen.

Bei diesem entwürdigenden und lächerlichen Spiel will ich nicht mitmachen und sage noch einmal, daß ich auf der Ebene von offener Diskussion immer bereit sei, mit ihr zusammenzuarbeiten. Es sei meine Aufgabe als Redakteurin, Debatten und Kontroversen in der Zeitung zu organisieren, und nicht, ewige Wahrheiten zu verbreiten. Nach einer Stunde beende ich das Telefonat - ohne Ergebnis.

Zwei Tage später schreibe ich ihr noch einmal einen Brief, daß ich sie als Autorin schätze und weiterhin in der taz Texte von ihr erscheinen könnten. Aber die Standpunkte anderer Frauen seien mir ebenfalls wichtig. Eine Antnwort habe ich nie erhalten.

Die Feindseligkeiten, die Konkurrenz und die Kleingeistigkeit, die die bundesdeutsche Frauenszene oftmals beherrschen, behinderten meine Arbeit enorm. Der Anspruch und der Wunsch, ein breites Spektrum an Meinungen und Standpunkten im Blatt zu präsentieren, ließ sich nicht realisieren. Veröffentlichte ich die Einschätzung der einen, wurde die taz quasi automatisch diesem „Lager“ zugerechnet, die anderen waren damit brüskiert. Gegen die „Frauensolidarität“ hätte ich verstoßen, wurde mir dann am Telefon um die Ohren gehauen. Andere zogen sich gleich in den Schmollwinkel zurück. Viele Frauen, denen Stärke und Selbstbewußtsein so wichtig sind, können nicht unterscheiden zwischen der Kritik an ihrer Arbeit und einem Angriff auf ihre Person. Das eine bedeute für sie automatisch das andere. Ich fragte mich, ob ich politische Redakteurin sei oder besser auf Psychologie umsatteln sollte. Verklemmte

Sittenpolizistinnen

Jeden Morgen um halb elf treffen sich alle Häuptlinge in der großen Runde. Das Ritual der Redaktionskonferenz nimmt seinen Lauf. Basisdemokratisch rotiert von Woche zu Woche unter den ChefredakteurInnen die Rolle des Oberhäuptlings. Mal soll der eine, mal die andere die Zeitung „von gestern“

-das ist die aktuelle Zeitung des Tages - kritisieren. Meistens hat er (oder sie) nur wenige Seiten gelesen, die Frauenseite sowieso nicht. In der taz werden nur die aktuellen Seiten mit Kritik und Lob bedacht. Stehen Beiträge zu Frauenthemen auf den aktuellen Seiten, werden sie trotzdem nicht erwähnt. Denn Zeit hat man nur für die „wichtigen“ Fragen, die zu diskutieren sich lohnt.

Frauenredakteurinnen haben beim Redaktionskonferenz -Zeremoniell besondere Aufgaben: Findet eine Kollegin einen Artikel oder eine Illustration in der taz „von gestern“ sexistisch und hat den Mut, dies auf der Redaktionskonferenz zu kritisieren, soll die Frauenredaktion dazu Stellung nehmen - gleichsam als Anwältin und engagierte Frauenbeauftragte. Noch besser wäre es gewesen, den Sexismus selbst zu entdecken und mit flammender Rede anzuprangern. Dann wären alle Erwartungen erfüllt und nimmermüdes Engagement bewiesen.

Denn die Männer verpassen ihren Einsatz nie: Mindestens die Hälfe von ihnen bietet diesem Angriff auf die redaktionelle und künstlerische Freiheit entschieden die Stirn. Mit Empörung weist mann die Einmischung in sein Revier zurück schließlich arbeitet mann in der taz, um Tabus niederzureißen und mehr Freiheiten zu haben als anderswo. Diese Feministinnen haben von Sex, Spaß und Erotik keine Ahnung und wollen nur neue Verbote aufstellen. Von denen lassen wir uns doch nicht kontrollieren. So wie früher von der Mutter.

Als eine Kollegin nach dem taz-Frauenstreik gegen Pornographie (im Berliner Lokalteil war als Beitrag zum Internationalen Frauentag am 8.März 1988 eine Pornoseite erschienen) eine „AG Sexismus“ gründete, wurde sie von Anfang an mit bösartigen Sticheleien angefeindet. Obwohl sie klar und deutlich sagte, daß es ihr darum gehe, einen Diskussionsprozeß darüber zu entfachen, was Sexismus und Pornographie für die taz und in der taz eigentlich seien, sieht man darin nie ein Element der ansonsten viel beschworenen Aufklärung. Statt dessen wird in Kommentaren am Schwarzen Brett und in Artikeln im Kulturteil der Eindruck erweckt, sie wolle jegliche Darstellung von Erotik, Sex oder Gewalt zwischen Männern und Frauen verbieten. Sie sei eine feministische Polizistin und kleinliche Kontrolleurin. Mit solchen Kollegen kann ich mich nicht einmal mehr streiten. Sie sind zu borniert, um unterscheiden zu können zwischen Sex und Sexismus. „Eine qualifizierte Frau ließ

sich leider nicht finden“

Als zäh, mühselig und verkrampft entpuppt sich auch die Quotierung. Die Hälfte aller Arbeitsplätze in allen Abteilungen für Frauen - das sollte Frauen mehr Einfluß und Macht geben und die männlich dominierten Strukturen im Mikrokosmos taz anknacksen und verändern.

Zweimal muß eine Stelle ausschließlich für Frauen ausgeschrieben sein, erst beim dritten Anlauf dürfen auch Männer angesprochen werden. Offenen Widerstand gegen diese Stellenausschreibung für Frauen gab es nie - das würde heutzutage kein Mann in der Alternativszene mehr wagen. Aber dann fanden sich einfach keine „passenden“ Bewerberinnen. Von den Anzeigen, die maximale Ansprüche formulierten bei minimalem Gehalt, fühlten sich Frauen mit Berufserfahrung nicht angesprochen. Sie hatten (berechtigte) Angst vor diesen Jobs, fürchteten, die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllen zu können. Während Männer, großspurig und scheinbar souverän, sofort zur Stelle waren. Sie zögerten keine Sekunde, ob sie den zum Teil absurd hochgeschraubten Anforderungen entsprächen, auch wenn sie sie später niemals erfüllten.

„Eine qualifizierte Frau ließ sich leider nicht finden. Deshalb haben wir jetzt den Kollegen G. eingestellt, der doch schon lange als freier Journalist auf diesem Gebiet für uns arbeitet.“ Mit solchen Argumenten wird der Quotierungsbeschluß in der taz umgangen - auch unter Mitwirkung der Frauen, die niemals auf ihren Stühlen säßen, gäbe es die Quotierung nicht. Protestiere ich dagegen, kommt der Vorwurf: „Du hast dich doch auch nicht darum gekümmert, qualifizierte Bewerberinnen zu finden!“ Als wäre die Einhaltung der Quotierung Aufgabe einiger weniger Feministinnen. Daß Quotierung auch von Männern neues Denken und verändertes Verhalten verlangt, hat sich in der taz nur sehr vereinzelt durchgesetzt. Übertriebene Leistungsmoral

hohe Durchfallerinnenquote

Weil die Quotierung als eine leblose Formalie gehandhabt wird, kann sie auch keine Dynamik entwickeln, die die Arbeits- und Kommunikationsstrukturen verändert. Alle klagen über den Verschleiß ihrer Kräfte - aber es gibt nicht einmal Ansätze eines kollektiven Bemühens, die Arbeitsüberlastung, die täglichen Reibereien und den Konkurrenzhickhack zu reduzieren. Jederzeit verfügbar zu sein und die Bereitschaft zu sechzig Wochenstunden und mehr (offiziell gilt in der taz die 35-Stunden-Woche) werden zumindest im redaktionellen Bereich als selbstverständlich vorausgesetzt. Wer stets emsig in den Text-Computer hämmert, wer viele Außentermine hat oder zumindest ständig mit „wichtigen“ Leuten telefoniert, ist fein heraus. Denn so beweist man, daß man sich genügend engagiert für das Gute auf der Welt im allgemeinen und für dieses einmalige, stets ums Überleben kämpfende Zeitungsprojekt im speziellen. Eine Ausnahme von dieser Leistungsmoral ist nur für diejenigen möglich, die ernsthaft krank geworden sind.

Und brav spielen die Frauen mit. Es gibt nicht einmal Phantasien darüber, wie die Frauen von der Hälfte der Stühle zur Hälfte der Macht kommen könnten. Als Frauen eigenwillige Akzente setzen? Keine Spur. Fortsetzung nächste Seite

Fortsetzung von Seite 12

Schneller-größer-höher ist die Devise der taz, und Frauen suchen Bestätigung durch Anpassung. Aber die Durchfallerinnenquote ist hoch. Deutlich mehr Frauen als Männer steigen wieder aus - ermattet, enttäuscht und ausgepowert verlassen sie das Projekt, das keine Alternative bot. Neurotische Arbeitsstrukturen

Nach einer langen Reise komme ich im Frühjahr 1988 nach Deutschland zurück. Nach mehreren Monaten, in denen ich Distanz und neue Energie gewann, nehme ich meine Arbeit in der taz wieder auf. Plötzlich kann ich meine Situation in großer Klarheit sehen: eingezwängt in kollektiv -neurotische Arbeitsstrukturen, überfordert durch die Diffusität und das Unmaß der Ansprüche, die gerade an „die Frauen“ der taz gestellt werden, rasend unzufrieden, weil trotz all meiner Anstrengungen befriedigende Arbeitsbedingungen nicht in Sicht sind.

Wie sehr die Frauenseiten in der taz auch Alibicharakter haben, wird mir erst jetzt bewußt. Das rot -grün gestrickte Projekt leistet sich ein kleines lila Feigenblatt. Das lohnt sich, denn so kann man ungestört seinen wichtigen politischen Problemstellungen nachgehen. Und um die Frauenfragen kümmert sich die Frauenredaktion. Daß die ganz unterschiedlich sind, je nachdem, ob über Zimbabwe, Japan, Polen oder die Bundesrepublik berichtet wird, und diese Überfülle an Aufgaben von zwei Redakteurinnen niemals zu schaffen ist, ahnt man zwar, aber über Konsequenzen nachzudenken war bislang nicht nötig.

„Wir wollen die Frauenseiten abschaffen!“ Mit einer Kraft, über die ich mich heute nur noch wundere, zettle ich mit zwei Kolleginnen die taz-interne Diskussion über die Zukunft der Frauenberichterstattung an. Wir wollen bessere Arbeitsmöglichkeiten, wie andere RedakteurInnen selbst mehr aktuell recherchieren und schreiben, ohne gleichzeitig unter miserablen Bedingungen Hintergrundseiten zu machen. In den anderen taz-Redaktionen wurden längst eigene Stellen für die Betreuung des Hintergrunds geschaffen. Wir wollen, daß die Frauenthemen auf allen Seiten der taz auftauchen, im aktuellen Politikteil, auf Ausland- und Inland-Hintergrund und im Kulturteil. Wir sind nicht mehr bereit, die Defizite, die sich das Projekt taz alltäglich in Frauenfragen leistet, allein auf unsere schmalen Schultern abladen zu lassen (...). Heftige Abwehr

Manche halten uns für naiv. Wir sind bereit, ein sicheres Terrain aufzugebewn, drei feste Seiten pro Woche, nach denen andere geiern.

Andere sind entsetzt. Gerade die engagierten Frauen fühlen sich brüskiert, wenn ich ihnen sage, daß ich nicht mehr die heimliche Frauenbeauftragte des Projekts spielen will und sie sich in ihrer Arbeit selbst um die Frauenfrage kümmern sollten. In vielen Gesprächen höre ich die Angst, daß mit der Auflösung der Seiten die Frauenberichterstattung in der taz zufällig und zusammenhanglos wird oder zusammenbricht. Das Vertrauen in die KollegInnen und in die eigene Fähigkeit, solche Akzente in der Arbeit setzen zu können, ist noch geringer, als ich befürchtet hatte. (...)

Nach über einjähriger Diskussion, die mich mit ihren gebetsmühlenartigen Wiederholungen oft langweilte, ermüdete und aggressiv machte, beschließt das Redaktionskollektiv: Die festen Frauenseiten werden aufgelöst, die Frauenredaktion bleibt mit zwei Stellen erhalten. Sie bekommt auf Wunsch den bevorzugten Zugriff auf zwei bis drei Hintergrundseiten pro Woche.

Ich bin ausgestiegen, bevor diese Konzept realisiert wird oder an der taz-Realität scheitert. Der Blick zurück ohne Zorn zeigt mir ein scharfes Bild: Jede Frauenredakteurin ist „bieder“, ihre Beiträge sind nie brisant und richtig aktuell. Sie ist nicht flexibel und arbeitet „Schmalspur“ in einem beschränkten Politikfeld mit den immergleichen Themen: Hausarbeit, Kinder, Paragraph 218, Gewalt, Diskriminierung und ein bißchen Emanzipation. „Da passiert doch sowieso nichts“, denkt ein Kollege schon mal laut vor sich hin.

Ich bin weder „bieder“, noch denke und arbeite ich in „Schmalspur“. Im Gegenteil: Die Vielfalt meiner Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle und der politische Ansatz, der sich daraus ergibt, passen nicht ins linke Raster der taz. Die Kritik an der patriarchalen Organisation unserer Gesellschaft und Kultur ruft auch bei den Linken und Grün-Alternativen heftig Angst und Abwehr hervor - obwohl man nach außen stets lässig Offenheit demonstriert. Die Infragestellung tut weh, sie muß verharmlost, also personalisiert werden: Wird die Frauenredakteurin klein gemacht, schrumpft auch die Bedeutung der Kritik, die sie verkörpert. Zeigt man ihr immer wieder, wie marginal ihr Politikbereich ist, gibt man der eigenen Verunsicherung keinen Raum.

Ich sah den Verschleiß meiner Kräfte, den Verlust meiner Kreativität und das Schwinden meiner Lebenslust. Da bin ich gegangen.

Die ungekürzte Fassung des Aufsatzes ist nachzulesen in:

Gitta Mühlen-Achs (Hrsg.): Bildersturm. Frauen in Medien. Verlag Frauenoffensive München 1990, 220 Seiten, 24,80 DM