Algeriens FLN steckt vor Integristen zurück

■ Seit Wochen nehmen Angriffe der moslemischen Integristen gegen Frauen zu / Die „Islamische Rettungsfront“ mobilisiert zur „Rettung der Moscheen“ / Für gestern angesetzte Frauen-Demonstration in der Hauptstadt wurde aus Angst vor Gewalttätigkeiten abgesagt

Berlin (taz) - Zumindest in der algerischen Hauptstadt hatten gestern die „bärtigen Männer“, die Anhänger der „Islamischen Rettungsfront“ (FSI) die Macht auf der Straße. Die regierende FLN zog den Kopf ein und sagte in der Nacht zum Freitag eine Demonstration gegen die zunehmenden Angriffe der Islamisten gegen Frauen in der Öffentlichkeit ab.

Seit Wochen schon führt die FSI eine landesweite „Kampagne zur Rettung der Moscheen“, mit Stoßrichtung gegen den säkularisierten algerischen Staat. Landesweit hatten die Integristen für die gestrige Demonstration vor dem Sitz des Ministerpräsidenten mobilisiert. Schon morgens herrschte hektisches Treiben auf allen Straßen Algiers, Grüppchen der traditionell arabisch gekleideten Männer mit den typisch verwucherten Bärten versammelten sich debattierend an allen größeren Kreuzungen und Plätzen.

Die Regierungspartei FLN hatte zwar noch im großen Stil zu einer Gegendemonstration in Algier aufgerufen. Doch offenbar wollte sie sich nicht darauf verlassen, daß die algerischen Sicherheitsbehörden eine solche Protestveranstaltung vor Übergriffen der Integristen auch schützen können oder wollen.

Bereits am vergangenen Samstag hatten sich ein paar Dutzend Frauen vor dem Sitz des Premierministers in Algier versammelt und dort gegen die zunehmende Bedrohung protestiert. Premierminister Mouloud Hamrouche versicherte daraufhin einer Delegation der Vereinigten Frauenorganisationen, die algerische Regierung sei fest entschlossen, jeglichen Angriff auf die pesönlichen Freiheiten zu unterbinden. Dies bekräftige zudem der algerische Innenminister Mohamed Salah Mohamedi.

Reichlich verspätete Versprechungen. Denn während der vergangenen Wochen hat die Polizei nicht den kleinen Finger gerührt, die „bärtigen“ selbsternannten Polizisten von den Universitätsgeländen fernzuhalten oder von Restaurants und Gaststätten, die ihren Service auch während der Fastenstunden des Ramadan fortsetzten. Konkrete Beispiele für solche Übergriffe beschrieb die französische Tageszeitung 'Le Monde‘ in einem Korrespondentenbericht:

„Zoubida, eine 23-jährige Studentin und gläubige Moslemin, die Hijab (Kopftuch) trägt und sich den islamischen Vorschriften entsprechend anzieht, war an diesem Abend Anfang April auf dem Weg zu einer KP-Versammlung an ihrer Fakultät. Zoubida ist trotz ihrer religiösen Überzeugungen Mitglied der Partei. In Begleitung einiger Kommilitoninen verließ sie also das Studentenwohnheim und den Campus der Universität von Blida. Ein halbes Dutzend „Bärtiger“ versuchte sie am Besteigen des Autobusses zu hindern und ihr darüber hinaus auch zu verbieten, den eingeschlagenen Weg zu Fuß fortzusetzen. Davon nahm Zoubida keine Notiz, drehte sich um und schlug einen anderen Weg ein. Als „Freudenmädchen“ wurde sie beschimpft, und einer der Männer begann, mit einem Gürtel auf sie einzuschlagen. Ein Autofahrer kam schließlich zur Rettung.

Mit Hijab, ohne das die Frauen, wie in vielen Moscheen verbreitet, „gleichsam nackt“ sind, ist es nach Ansicht der Integristen nicht getan. Keine Frau sollte überdies ihre „Tugend“ in Verruf bringen, indem sie etwa alleine lebt. Sie muß sich der Aufsicht ihres Vaters oder ihres Gatten unterwerfen, notfalls der ihres Bruders oder Cousins. Besonders die Universitäten, wo viele hundert junge Frauen von männlicher Bevormundung relativ befreit leben, sind bevorzugtes Augenmerk der radikalen Islamisten. Dort versuchen Integristen den Zugang zum Campus zu kontrollieren. Jene, die nicht mit den Studentinnen verwandt sind, weisen sie zurück. Sie wollen den jungen Frauen jeglichen Ausgang nach 18 Uhr untersagen, denn später sollte ihrer Auffassung keine „ehrenhafte Frau“ die Nase aus der Tür stecken. Ganze Brigaden von Integristen sind in den Städten auf Streife und bedrohen Händler und Geschäftsleute, die Bücher, Filme oder Videos erotischen Inhalts anbieten.

Am 8. April stürmte eine wütende Truppe in Sidi-Amer die Apartments von vier geschiedenen Frauen, warf die Einrichtung auf die Strasse und ließ sie in Flammen aufgehen. Die betroffenen Frauen hatten nach der Scheidung nicht mit ihren Kindern zusammengelebt - nach qualifizierter Auslegung existiert im Islam auch keine solche Bestimmung. Viele Algerier erklären sich die Passivität der Behörden mit der Absicht der FLN, die Masse der Bedrohten um sich zu versammeln. Knapp zwei Monate vor den Kommunalwahlen hat die Partei dies offensichtlich nötig. Wesentlich banalere Gründe vermuten andere: auch die Polizsten seien vom konservativen Fundamentalismus beeinflußt.

Und die Frauenvereinigungen scheinen mehr und mehr isoliert. Zwar hat sich unterdessen Protest seitens der Parteien und der beiden Menschenrechtsligen geregt. Doch die Mehrheit der weiblichen Bevölkerung schweigt. In Akzeptanz der islamischen Kleidungsordnung als Glaubensgrundsatz, scheint sie sich vor dem Traditionalismus zu verneigen.

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