STERILE WELT

■ Der Potsdamer Platz wird rechnergestützt gestaltet: Ein Symposium von ART+COM

In einer Fiktion rast eine Kamera durch den neueröffneten unterirdischen Bahnhof am Potsdamer Platz über Schienen und Treppen, als wäre ein Zug entgleist. Man sieht unterirdische Bahnsteig- und Verkaufsanlagen, die so fremd aussehen, weil ihre Unbelebtheit einer Verlassenheit entspricht, die geisterhaft gegenwärtig ist. Endlich durchbricht die Computerfahrt die Erdoberfläche und taucht auf dem Platz wie Phönix aus der Asche auf. Eine Sequenz Realfilm zeigt den zerstörten Potsdamer Platz, kaputt und menschenleer. Die komikhaften Bilder vom Potsdamer U-Bahnhof erinnern an das Szenarium nach dem Neutronenbombenabwurf.

Diese sogenannte „Behaglichkeitsstudie“, die vorgibt, die Atmosphäre eines Raumes erfassen zu können, noch ehe dieser real existiert, ist ein Werk von ART+COM, dem Verein zur „Forschung und Entwicklung rechnergestützten Gestalten und Darstellens“. Die unterirdische Idylle, vorgeführt anläßlich eines Symposiums von ART+COM, machte eher schläfrig. So richtig munter ging es erst beim Mittagessen zu: Eingestimmt durch digital bearbeitete Klänge aus dem „Synclavier“, das natürliche Geräusche wieder als Effekte ausspuckt, um „akustische Verhältnisse im Hinblick auf die Behaglichkeit im Raum zu simulieren“, stürzten sich die Teilnehmer auf nicht weniger künstlich dekorierte Brote in giftgrün, knallrot oder pink und stopften sich zum Dessert kackbraun überzogene Erdbeeren rein. So tadellos die Aktion auch gewesen sein mag, nämlich aus einem komplexen System irrer Farben das hochtechnologische Zeitalter durch quasi rechnergestütztes Essen symbolisch zu visualisieren, so banal dagegen ist das Programm des Symposiums abgestürzt, so wenig Neues war zu hören.

Als hätte die Entwicklung der Mikroelektronik und die ihr eingebundene Technik des CAD (rechnergestütztes Entwerfen und Konstruieren) gerade erst begonnen, wurde ein Instrumentarium zur Simulation von Architektur gefeiert, das weniger das Empfinden für Architektur und ihre Funktionalität schärft, als vielmehr die suggestive Manipulation des Betrachters mit öden Bildern fördert. Dem CAD-System liegt zwar ein bauspezifisches, dreidimensionales Volumenmodell zugrunde, das den Flächen und Körpern Farbe und Materialeigenschaften zuweist und damit „Realität“ simuliert, ohne über ihr Zustandekommen nachzudenken. Zugleich kann sich der Betrachter nicht nur an jeden beliebigen Ort innerhalb und außerhalb des Modells stellen, sondern wie in natürlichen Räumen dynamisch bewegen, wobei die Dynamik einschließt, daß Bewegung nicht allein linear stattfinden muß, sondern Beschleunigungen und Verzögerungen unterworfen werden kann. Allein man wird dabei auf einen Vektor im virtuellen Raum reduziert, der durch Linien beschrieben ist. Selbst den unrasierten Karottenhosen und grellgeschminkten Stretchgürtelchen war das bekannt. „ART+COM“, so führte ihr Chef, Professor Edouard Bannwart, bogenschlagend ein, entstand auf der Grundlage eines Forschungsprojekts zur Datenkommunikation zwischen den Kunsthochschulen Berlin, Braunschweig und Kassel. Im Sinne eines „multimedialen Bauhauses“ (jetzt schießen in Köln und Karlsruhe neumodische „Mediaparks“ und Zentren für Kunst und Medientechnologien für ausgemusterte Filmemacher aus dem Boden) sollten fach- und ortsübergreifend Visualisierungsmöglichkeiten der Computer für wissenschaftliches Zeichnen und ein Datenaustausch mittels Glasfaser untersucht werden. Komplexe Sachverhalte der Planung in der Umwelt seien dadurch anschaulicher zu machen. Seit 1988 forschen die agilen Mitarbeiter allerdings im Verein, weil die langsamen Geldmühlen öffentlicher Institutionen auf das Konzept interdisziplinärer Forschung und auf die Arbeit mit „schnellen Technologien“ unflexiblel, das heißt: gar nicht, reagierten. Das Ziel von „ART+COM“ bestehe nun darin, so Bannwart, für Architekten, Graphiker und Designer Arbeitsbedingungen und Programme für rechnergestütztes Gestalten zu entwickeln. Dieser „kulturelle Anwendungsbereich der Computertechnologie“ erfordere eine gemeinsame Zusammenarbeit zwischen den Künstlern und Gestaltern einerseits und Informatikern und Wissenschaftlern andererseits. Wie auf „Piratenschiffen, wo sich Leute zusammenfanden, die alle ein Ding ganz toll konnten“, fördere laut Bannwart die Anwendung der Technologie die Überwindung fachspezifischer Gestaltungstätigkeiten mittels der Verknüpfung der Darstellungsformen. Das BERKOM-Projekt „Neue Medien im Städtebau“ beispielsweise beinhalte eben diese Erprobung der schnellen Datenübertragung zur interaktiven Zusammenarbeit zwischen dezentral arbeitenden Architekten, Fachingenieuren und einer Daten-Dienstleistungszentrale. Der Architekt sitzt an einem multimedialen Arbeitsplatz und simuliert pausenlos und sekundenschnell Computerarchitektur. Wer da an wen angeschaltet ist, hat sich Bannwart noch nicht überlegt.

Die mögliche Form gemeinsamer Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Naturwissenschaftlern erläuterte der Physiker Wolfgang Krüger. Mit dem „Projekt zur Visualisierung wissenschaftlich-technischer Modellsimulationen und Messungen“ fand Krüger heraus, daß die bei der Simulation wissenschaftlicher Phänomene auf Großrechnern anfallenden Daten - beispielsweise bei der Objektmodellierung von sich aufladenden Proteinmolekülen oder schwingenden Kristallen mit Hilfe von dreidimensionaler Animation nicht allein ein schnelles und qualitativ brauchbares Bild erzeugen können, sondern daß der „ästhetische Ausdruck“ der Visualisierung ihn als Wissenschaftler reizt. Es gehe, so Krüger, also nicht mehr nur um die Auflösung realer oder modellhafter Dinge in Zahlen und ihre rechnergestützte Zusammensetzung als animiertes Computerbild, sondern um ihre Erlebbarkeit. Wo aber die Eindrücke von Form, Farbe und Stofflichkeit bereits im Programm eingegeben sind, wird der Mensch ausgeblendet.

rola