Ost-West Randale

Zu den Auseinandersetzungen am Alex und in Kreuzberg  ■ K O M M E N T A R

Nachdem in den vergangen Monaten ein Gesamt-Berliner Ereignis das andere jagte (Silvesterlauf, Polizeifahndung, Ostermarsch usw.) können wir nach diesem Wochenende nun auch die erste stadthälftenübergreifende Randale vermelden. Die prügelnden Skin-Banden mit militanten türkischen Jugendgangs in einen Topf zu werfen, auf dem nur das billige Etikett „Gewalt“ steht, wäre politisch fatal. Trotzdem haben die Ausschreitungen auf dem Alexanderplatz und die in Kreuzberg miteinander zu tun.

Die systematischen und gezielten Überfälle rechtsradikaler Schlägertrupps auf Ostberliner Cafes, Jugendclubs und besetzte Häuser haben in den vergangenen Wochen in erschreckendem Maße zugenommen. Am Freitag erreichten sie einen vorläufigen Höhepunkt. Die Brutalität, mit der am Prenzlauer Berg gegen Linke, Schwule oder Intellektuelle vorgegangen wird, übertrifft bei weitem das, was über entsprechende Überfälle in West-Berlin bisher bekanntgeworden ist. Es gibt in der Hauptstadt des antifaschistisch programmierten Staates DDR momentan weit mehr gewaltbereite Rechtsradikale als in West-Berlin. Ein autoritär durchgesetztes antinazistisches Glaubensbekenntnis erzeugt eben keine entsprechende politische Grundhaltung. Im Gegenteil: Es wirkt geradezu kontraproduktiv. Die Skinheads vom Alexanderplatz wurden nicht als Rechtsradikale geboren: Sie haben genauso unter dem SED-Regime gelitten, wie die Leute, die sie am Prenzlauer Berg jetzt mit Baseballschlägern krankenhausreif schlagen möchten. Sie sind in einem totalitären Staat aufgewachsen, der ihnen Völkerfreundschaft gepredigt und ihnen gleichzeitig Reisefreiheit verweigerte.

Die Randale vom Alexanderplatz zeigte auch in Kreuzberg ihre Wirkung. Nun kann man das Plündern von Geschäften und Tankstellen für schlichtweg „unpolitisch“ halten. Weiter bringt einen das Verteilen solcher Zensuren nicht. Viele türkische Jugendliche in Kreuzberg fühlen sich an den Rand gedrängt, haben schon seit Monaten den Eindruck, daß sie im „neuen“ Berlin keine Rolle mehr spielen sollen. Die Aufmärsche von Rechtsradikalen erleben sie als persönliche Bedrohung. Die Gründung türkischer Jugendgangs hat hier ihre Ursache. Wenn in Kreuzberg am vergangenen Wochenende Scheiben geklirrt haben, war das zum einen aggressive Ersatzhandlung, weil die Skinheads nicht „greifbar“ waren. Zum anderen war es das Ausnutzen einer guten Gelegenheit zum Plündern. Und schließlich bedeutet das Klirren der Scheiben auch: „Wartet nur ab, was hier am 1. Mai passiert!“

Claus Christian Malzahn