: Trotz Mandelas Eingeständnis wieder Foltervorwurf
Vertrauenskrise noch nicht beseitigt / Ausmaß der Folterungen nicht mit denen der Swapo vergleichbar / Sieben mißhandelte Dissidenten klagen nur militärischen ANC-Flügel an, unterstützen jedoch weiterhin Oliver Tambo / Neue Richtlinien zum Umgang mit Gefangenen ■ Aus Johannesburg Hans Brandt
Dissidenten des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) haben der Organisation erneut vorgeworfen, Gefangene in Straflagern gefoltert und ermordet zu haben. Schon vor einer Woche hatte ANC-Vizepräsident Nelson Mandela zugegeben, daß Dissidenten in Einzelfällen gefoltert worden waren. Mandela sagte jedoch gleichzeitig, daß gegen die Folterer vorgegangen worden sei. Trotz der schnellen Reaktion auf in britischen und südafrikanischen Zeitungen veröffentlichte Vorwürfe hat der ANC die Frage der Folterungen jedoch offenbar noch nicht vollkommen entschärft.
Die jüngsten Vorwürfe kommen von einem ehemaligen Offizier der ANC-Armee „Umkhonto We Sizwe“ (Speer der Nation, genannt MK), Mwezi Twala. Er war der Führer eines Aufstandes unzufriedener MK-Kämpfer 1984 in ANC-Lagern in Angola und behauptet, zusammen mit anderen Aufständischen gefoltert worden zu sein. Er behauptet auch, daß Aufständi sche ermordet oder hingerichtet wurden.
Dem ANC droht aufgrund der Vorwürfe ein Vertrauensverlust, vor allem auf internationaler Ebene. Ähnliche Vorwürfe wurden letztes Jahr gegen die südwestafrikanische Volksorganisation Swapo in Namibia erhoben. Hunderte von Swapo-Dissidenten hatten nach ihrer Freilassung aus Gefangenenlagern Mitte letzten Jahres der Organisation Folter und Mord vorgeworfen. Die Swapo hat bis heute nicht detailliert auf die Vorwürfe reagiert, und angebliche Folterer befinden sich nach wie vor in einflußreichen Positionen innerhalb der neuen Regierungspartei Namibias. Offenbar um einen Vertrauensverlust zu vermeiden, reagierte ANC-Vizevorsitzender Nelson Mandela am Osterwochenende schnell und detailliert auf die Foltervorwürfe.
Nach bisher bekannten Angaben ist das Ausmaß der Übergriffe innerhalb des ANC nicht mit den jahrelangen Folterungen der Swapo zu vergleichen. Sieben ANC-Dissidenten berichteten Anfang April, daß sie als Beteiligte an dem Aufstand gegen die Führung der ANC-Armee gefoltert worden waren. An dem Aufstand 1984 hatten sich mehrere Hundert unzufriedene Kämpfer beteiligt.
Die sieben Dissidenten wurden vier Jahre in Gefangenenlagern des ANC festgehalten. Danach wurden sie freigelassen und in ein reguläres ANC-Lager in Tansania gebracht. Von dort flüchteten sie über die Grenze nach Kenia. Vorwürfe erhoben die sieben ausdrücklich nur gegen die MK-Führung, der sie neben Folter auch Korruption vorwerfen. Die zivile Führung des ANC von Präsident Oliver Tambo unterstützen sie nach wie vor.
„Leider ist es wahr, daß einige dieser Leute gefoltert wurden“, sagte Mandela am Osterwochenende. Er fügte jedoch hinzu, daß die Verantwortlichen bestraft worden seien. Gemeint ist die MK-Sicherheitseinheit „Mbokodo“ (Mahlstein“), die inzwischen aufgelöst worden ist. Zudem hat der ANC Richtlinien für die Behandlung von Gefangenen und angeblichen Spionen verfaßt, die Folter ver bieten.
Steve Tshwete, Mitglied der ANC-Exekutive, betonte letzte Woche, daß Folter unter keinen Umständen zugelassen sei. Doch im Umgang mit aufständischen Mitgliedern der ANC-Armee sei Härte gerechtfertigt. „Wir mußten den Aufstand mit aller uns zur Verfügung stehender Kraft unterdrücken,“ sagte Tshwete. In dieser Situation sei es beim Verhör der Beteiligten zu Übergriffen gekommen. Die Verantwortlichen seien jedoch diszipliniert worden.
Mit dem Aufstand in ANC-Lagern in Angola hatten Hunderte von unzufriedenen Kämpfern gegen ihre jahrelange Untätigkeit und gegen Korruption in der MK-Führung protestiert. Der Aufstand wurde mit Hilfe von angolanischen Truppen unterdrückt. ANC-Kämpfer haben in der Vergangenheit wiederholt darüber geklagt, daß sie militärisch - meist in Osteuropa - ausgebildet, aber nie zum Einsatz nach Südafrika geschickt wurden. Statt dessen kämpfte der ANC auf seiten angolanischer Regierungstruppen gegen die von den USA und Süd afrika unterstützten Unita-Re bellen.
ANC-Dissidenten warfen dem ANC diese Woche neben Folter auch die Bevorzugung von Mitgliedern des Xhosa-Stammes und Vetternwirtschaft vor. Solche Beschuldigungen wurden in der Vergangenheit allerdings wiederholt von der südafrikanischen Sicherheitspolizei verbreitet. Die Dissidenten, die am Freitag an die Öffentlichkeit gingen, befinden sich mittlerweile in Südafrika, angeblich nachdem sie unter Mitwirkung der UNO in ihr Heimatland zurückgebracht wurden. Sie schrieben Briefe an den südafrikanichen Erzbischof Desmond Tutu und Nelson Mandela, in denen sie um Hilfe baten. Die sieben glauben, daß mehrere hundert einstige Aufständische noch immer vom ANC festgehalten werden. ANC -Sprecher geben zu, weiterhin Spione und Auständische gefangenzuhalten. Spekulationen über Hunderte ANC-Gefangene seien jedoch übertrieben.
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