: Paragraph 218: Grenzenloses Unbehagen
■ In Ost-Berlin demonstrierten am Sonntag nachmittag etwa 1.800 Frauen, Männer und Kinder gegen die Übernahme des bundesdeutschen § 218 / Frage an de Maiziere: „Wenn das Gummi aber nun ein Loch hat...?“
Berlin (taz) - „Kein § 218. Frauen entscheiden selbst wann und wie viele Kinder sie zur Welt bringen“, stand in großen Lettern vor den Eingangstüren des Berliner Doms. Fast 1.800 Frauen, Männer und Kinder - so die Schätzung der Volkspolizei - waren gestern zur ersten deutsch-deutschen Kundgebung gekommen, um gegen die Übernahme des bundesdeutschen Paragraphen 218 zu demonstrieren. „Es wäre ein absolutes Novum in der Geschichte“, sagte eine der Veranstalterinnen, „wenn gerade die DDR-CDU als einzige christliche Regierungspartei der Welt sich für die Fristenlösung stark machen würde.“ Lothar de Maiziere sagte aber gegenüber der 'Welt‘, ein Beitritt zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes müsse nicht unbedingt eine Abschaffung der Fristenregelung in der DDR bedeuten. Der Regierungschef wurde dennoch auf einem Spruchband gefragt: „Wenn das Gummi aber nun ein Loch hat, lieber Lothar, was dann?“ Ja, was dann? Der Aushöhlung der Fristenregelung hat längst begonnen, und die Aussagen der Regierungsparteien zum Thema straffreie Abtreibung bis zur 12. Woche bleiben weiterhin unklar. „Die Vertreter in der Volkskammer eiern nur so rum, wenn es um konkrete Äußerungen zu diesem Thema geht“, empörten sich die Veranstalterinnen. „Jahrelang war Abtreibung ein Tabuthema“, sagte eine der Veranstalterinnen, „und es war äußerst schwierig, überhaupt Frauen zu finden, die hier öffentlich zu diesem Thema reden wollten.“ Auch viele Plakate, die auf die Kundgebung hinwiesen, seien abgerissen. Die Rednerinnen forderten die Sicherung existierender Rechte für die Frauen in der DDR und verlangten von der Volkskammer, sich entschieden gegen die Einschränkung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch einzusetzen.
Geplant wurde die Kundgebung von Vertreterinnen der ehemaligen Arbeitsgruppe Gleichstellungsfragen des zentralen Runden Tisches. Sie waren erheblich an der Ausarbeitung der Sozialcharta beteiligt, die von der Volkskammer Anfang März beschlossen wurde. Hier hieß es noch: „Das Recht der Frau auf selbstbestimmte Schwangerschaft muß erhalten bleiben.“
Vom Schutz des ungeborenen Lebens war in diesem Zusammenhang noch nicht die Rede, wohl aber kurz darauf im Entwurf des Runden Tisches für eine neue Verfassung der DDR: „Frauen haben das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft. Der Staat schützt das ungeborene Leben durch das Angebot sozialer Hilfen.“
In den Koalitionsvereinbarungen von Mitte April haben sich die Prioritäten bereits verkehrt, hier steht der Schutz des ungeborenen Lebens an erster Stelle, die Beibehaltung der Fristenlösung aber an letzter.
Michaela Eck
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