„Neue Gewalt wäre der eigene Untergang“

Wu Er Kai Xi, einer der Studentenführer der Demokratiebewegung in China vom Frühling des vergangenen Jahres, über Pekings Repressionspolitik gegen Minderheiten  ■ I N T E R V I E W

taz: Wie kam es zu den jüngsten Protesten der uighurischen Bevölkerung in der Provinz Xinjiang?

Hu: Ich lebe heute, wie Du weißt, im ausländischen Exil und habe von daher keine genauen Informationen über das, was in Xinjiang konkret geschehen ist. Die Minderheitenfrage ist in Xinjiang seit 1949 nie als ernstzunehmendes Problem behandelt, geschweige denn gelöst worden. Die Uighuren sind niemals wirklich respektiert worden, wie überhaupt ethnische Minderheiten in China immer wie Randgruppen behandelt wurden. Sie (die Chinesen) halten die Uighuren, die Tibeter und auch andere Völker für kulturell niedrigstehende Ethnien. Aus diesem Grunde haben sie sich auch nie die Mühe gemacht, in Xinjiang das Erziehungswesen und die Wirtschaft zu entwickeln. Stattdessen wurde immer nur der trostlose Zustand verwaltet. Die Politik der chinesischen Führung gegenüber Xinjiang ist äußerst repressiv. Ich selbst habe Nachrichten vom Festland gehört, in denen ich als Konterrevolutionär aus Xinjiang bezeichnet werde. Ich fühle mich dadurch geehrt, bin aber andererseits traurig, da ich dadurch gezwungen wurde, ins Exil zu gehen. Das hat die Bevölkerung von Xianjiang jedoch ermutigt.

Sind es hauptsächlich politische Forderungen oder eher die schlechten Lebensbedingungen in Xinjiang, die zu den gegenwärtigen Protesten geführt haben?

Es handelt sich eindeutig um eine politische Bewegung. Die Bevölkerung von Xinjiang demonstriert, um gegenüber der Pekinger Führung ihre Kraft darzustellen. Ihre Forderung ist ganz klar: die Unabhängigkeit Xinjiangs.

Wie hat sich der Umstand, daß deine Eltern aus Xinjiang stammen, auf deine eigenen Entwicklungsmöglichkeiten ausgewirkt?

Ich habe die Repression schon in meiner Jugend gespürt. Die Han-Chinesen und die Regierung haben unsere Sprache, Kultur und Erziehung immer unterdrückt, die Bürgerrechte von Uighuren stets ignoriert.

Uns ausländischen Studenten an der Pekinger Beida -Universität hat deine antiautoritäre Haltung immer gut gefallen. Es sind aber in jüngster Zeit mehrere Artikel erschienen, in denen behauptet wird, Du verstündest nichts vom Westen und könntest nur für Dich selbst, nicht aber für die Bewegung sprechen...

Natürlich gibt es Kritik. Ein Teil der Kritik ist ehrlich und gerechtfertigt, ein anderer Teil beruht aber auf Unkenntnis von Tatsachen. Wir haben in den USA keine eigene Zeitung, die darauf eingehen könnte.

Die chinesische Regierung hat angekündigt, möglicherweise auch mit Gewalt gegen das Propagandaschiff der Demokratieföderation vorzugehen, das nächste Woche in den internationalen Gewässern vor Chinas Küste Radiosendungen ausstrahlen wird...

Die chinesische Regierung ist eine Regierung faschistischen Zuschnitts. Das hat sich doch bereits am 4. Juni 1989 gezeigt. Wenn sie sich entschließt, vor den Augen der Welt einen weiteren Schritt offener Repression zu tun, wird das bei den Völkern der Welt nur noch größere Abscheu hervorrufen, es wäre ihr eigener Untergang.

Interview: Thomas Reichenbach