Schulmäßige Bewältigung

■ In der Ostberliner Akademie der Künste wurde am Sonntag der jüdische Trauertag Jom Haschoan begangen / Keine Diskussion der aktuellen Ereignisse

Ost-Berlin. Der 22. April ist für die Juden der Welt ein trauriger Tag. Es ist der „Tag der Katastrophe, des Völkermordes“, auf hebräisch Jom Haschoan. Er wird seit der Befreiung von Bergen-Belsen vor 45 Jahren gefeiert. Gedacht wird der sechs Millionen während der Nazizeit ermordeten Juden. In Israel sind an diesem Tag alle Kinos und Theater geschlossen, und zwei Minuten lang stehen alle Räder in den Fabriken still. Die Fahnen wehen auf Halbmast, und in der Gedenkstätte Yad Vashem wird die Lesung der Namen von Opfern des Holocaust fortgesetzt. In Polen trauerten am Sonntag 4.000 Jugendliche aus 37 Ländern vor den Toren der Krematorien in Auschwitz und Birkenau um ihre ermordeten Vorfahren.

In der DDR wurde dieser besondere Tag am Sonntag zum erstenmal begangen. Der vor wenigen Wochen gegründete Jüdische Kulturverein lud gemeinsam mit dem Simon-Wiesenthal -Zentrum Europa zu einer Veranstaltung in die Akademie der Künste ein. Vertreter von CDU, SPD, PDS, der Jüdischen Gemeinde und der Humboldt-Universität nahmen an der Veranstaltung teil. Vertreter der Jüdischen Gemeinde West hingegen waren nicht dabei. Den Initiatoren ging es nicht um eine feierliche Zeremonie des Nichtvergessens, sondern es ging ihnen um eine Aufarbeitung der historischen Schuld und um die Frage, welche politischen, sozialen und psychologischen Bedingungen geschaffen werden müssen, damit eine antisemitische Ausgrenzung und Verfolgung nie mehr möglich sein kann. Das Thema der Podiumsdiskussion hieß programmatisch „Deutsche Einheit im Lichte des Holocaust“.

Es war eine gut und wichtig gemeinte Veranstaltung, aber ein unendlich hölzernes Bewältigungsritual. Reihenweise verließen die Zuhörer, vor allem die älteren, den Saal. Es wurde nicht gefragt, ob der in der DDR 45 Jahre lang verordnete und von oben „bewältigte“ Antifaschismus im Alltag nicht genau ins Gegenteil verkehrt wurde. Keiner bemühte sich zu erklären, warum in der DDR dieser Tag bisher niemals begangen wurde, warum die Jüdische Gemeinde bisher eher ein Schattendasein führte. Mit keinem Satz wurde der Zusammenhang von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und neuer nationaler Euphorie reflektiert, die doch jeder Ausländer in der DDR fast täglich erfahren kann. Die Ausschreitungen der rechtsradikalen Skinheads am Alex, die Steinwürfe auf Homosexuelle und die ausländerfeindlichen Parolen waren allenfalls einige Sätze am Rande wert.

Es war eine pädagogische Veranstaltung für Eingeweihte, es wurden Ratschläge verteilt, die andere zu beherzigen haben. Der PDS-Vertreter Andre Brie will Menschen erziehen, „die differenziert denken können“, der CDU-Vertreter Udo Bartsch will „schulmäßig die Jugendlichen für das humanistische Gedankengut vorbereiten“. Lediglich der neue parteilose Bildungsminister Hans-Joachim Meyer hält es für eine gefährliche Illusion zu glauben, daß es mit erzieherischen Mitteln möglich ist, den Antisemitismus „auszurotten“. Er wünscht sich ein Gegengewicht, die Präsentation der reichen jüdischen Kultur und Tradition müsse wieder ein Stück Berliner Alltagsgeschichte werden, der lebendige diskursfreudige Zusammenhalt der Juden für alle erfahrbar werden. „Nicht die deutsche Entschuldigung an die Juden verändert die Menschen, sondern das Leben mit ihnen.“

aku