Anmut, Akrobatik und Hexenschuß

Beim DTB-Pokal der rhythmischen Sportgymnastik warfen die weltbesten Turnerinnen ihre Handgeräte: Timoschenko, die fünffache Weltmeisterin, und Skaldina, dreifache WM-Titelträgerin, zeigten, wie's geht  ■  Aus Karlsruhe Thomas Schreyer

Atemberaubende Windungen: Von einem Spagat in den anderen drehen und biegen sich die Gymnastinnen, überdehnen die Wirbelsäule und zeigen Bewegungen, die Außenstehenden - und die müssen gar nicht unsportlich sein - schon beim Hinschauen Rückenschmerzen bereiten.

Gummi kann nicht elastischer sein als eine Sportgymnastin, die, sich auf Kinn und Brust stützend, ihren Rücken über den Kopf biegt und die eigenen (!) Füße vor ihrem Gesicht wieder absetzt. Mühevoll unterdrückt der Betrachter die Warnung, von der halsbrecherischen Übung abzulassen. Doch den Gymnastinnen tut das nicht weh, es strengt sie nicht einmal besonders an. Von Kindheit an betreiben sie diese grazilen Verrenkungen, dennoch ist die rythmische Sportgymnastik nicht gerade ein typischer Kindersport.

Die Spitzengymnastinnen sind um die 18 Jahre alt, so auch die beim internationalen DTB-Pokal in Karlsruhe dominierenden Sowjetturnerinnen Alexandra Timoschenko und Oksana Skaldina. Und die sahnten ab: Im Vierkampf wie an den Einzelgeräten machten sie die Medaillen unter sich aus. Nur einmal, beim Seilwettbewerb, kam die Bulgarin Mila Marinowa mit auf das Treppchen.

Die beiden 18jährigen Sowjetturnerinnen denken noch gar nicht ans Aufhören. Ihr Sport, das ist Leben, Stimmung, Ausstrahlung. Timoschenko ist eine ruhige Person: Das Publikum soll sich nur darauf konzentrieren, wie sie sich mit Hilfe eines Handgeräts auszudrücken pflegt. Oksana Skaldina, ein temperamentvoller Typ, liebt es eher, die Zuschauer mitzureißen, ihren Rhythmus auf die Außenstehenden zu übertragen. Auf diese Tour avancierte sie schon bei ihrere zweiten Darbietung zum Publikumsliebling schlechthin. Ein einmaliges Abgrüßen reicht da nicht mehr aus. Nochmal winken und nochmal.

Die Zuschauer in der Karlsruher Europahalle waren zufrieden - und mit ihnen der vom Deutschen Turner-Bund (DTB) neu gewonnene Sponsor: Eine Kosmetikfirma, zum ersten Mal in der Sportpromotion aktiv, nutzte die Schönheit der Athletinnen zur Produktwerbung. Offenbar wollen viele der Fans so wunderschön wie die Timoschenko werden, den der kleine Informationsstand im Foyer wurde in der Hoffnung auf die neuesten Antifalten-Jugendcremes ständig belagert.

Für das Engagement der Firma ausschlaggebend waren sicher die großzügigen Sendezeiten. Nach dem Reinfall vom Vorjahr (das ZDF sagte seinerzeit kurzfristig ab, der damalige Sponsor ließ das Gesicht hängen) konnte der DTB diesmal aufatmen. „Durch den sogenannten Sechservertrag, der uns drei Stunden Übertragung der rhythmischen Sportgymnastik zusichert, haben wir jetzt bei unseren Sponsoren eine wesentlich bessere Ausgangsbasis“, freut sich Pressesprecher Wolfgang Staiger.

Der Etat, der inklusive aller Sachleistungen 200.000 Mark brutto beträgt, wird sicher neu verhandelt werden. Nach dem Erfolg von Karlsruhe ist der Kosmetikhersteller schon recht gewillt, „mittelfristig auf die rhythmische Sportgymnastik zu setzten“. Ein Indiz für die Qualität des Turniers, denn die europäische Elite ist am Start, die identisch ist mit der Weltelite. Um den Qualitätspegel zu halten, soll Karlsruhe künftig in die Europapokalwertung miteinbezogen werden. Eine Entscheidung hierüber fällt in drei Wochen.

Erstaunlich erfreulich waren die Wettkämpfe auch für die Gymnastinnen aus der BRD. Michaela Ziegler belegte im Vierkampf den sechsten Platz und wurde knapp von ihrer Kollegin Silkje Neumann aus der DDR geschlagen, mit der sie möglicherweise bald um die Olympiaqualifikation buhlen wird. Denn das Deutsch-Deutsche geht bei den Gymnastinnen rasch voran: Gemeinsame Trainingslager sind geplant, nicht nur theoretisch, sondern schon konkret mit Datum und Uhrzeit, und gemeinsame Trainingskonzeptionen werden entworfen.

Übrigens lag Michaela Ziegler in drei von vier Finals vor Silke Neumann. Bei einer Zusammenlegung der beiden Sportverbände im Verhältnis 1:1 brauchen die westdeutschen Gymnastinnen scheinbar keine Angst zu haben, hinten anstehen zu müssen.