Die D-Mark kommt, die Jobs verschwinden

■ Nach wochenlangen wilden Spekulationen hat die Bundesregierung nun die Katze aus dem Sack gelassen: die D-Mark kommt am ersten Juli und sie kommt im Verhältnis 1:1. In ersten Reaktionen aus Ost-Berlin sprach die DDR-Regierung von einem interessanten Verhandlungsan- gebot. Die DDR-Opposition dagegen protestiert schärfstens.

Als gestern morgen die Nachricht vom Bonner Sinneswandel für einen Umtauschkurs 1:1 über die Nachrichtenagenturen verbreitet wurde, waren die zuständigen Ostberliner Ministerien noch ahnungslos. Im Finanzministerium erfuhr man vom Einlenken der Bundesregierung in der bis dato strittigsten Frage der zukünftigen Wirtschafts-, Währungs und Sozialunion aus dem Radio. Das Wirtschaftsministerium erhielt die Information erst durch eine Journalistin. In einer ersten Stellungnahme reagierte die DDR-Regierung vorsichtig positiv. Offensichtlich wertet man aber den neuen Vorschlag der Bundesregierung, den Kurs 1:1 auch für die Umstellung der Löhne zu akzeptieren und das Limit für Sparguthaben auf 4.000 Mark anzuheben, noch nicht als letztes Wort. Die DDR-Regierung sprach nur von einem „interessanten Verhandlungsangebot“. Man werte es als Indiz dafür, daß sich die Bedingungen der Währungsunion in Richtung der Vorstellungen von Ministerpräsident deMaiziere bewegten. Zumindest sieht die DDR-Regierung in der Bonner Kurswende einen wichtigen Beitrag, „weitere unselige Diskussionen zu diesem bisher noch strittigen Punkt zu beenden“. Auch im Wirtschaftsministerium hob man den psychologischen Effekt der Bonner Ankündigung hervor. „Das bringt Ruhe in die Bevölkerung, das Orakeln hört auf.“ Noch vergangene Woche hatte Finanzminister Walter Romberg für den Fall eines ungünstigeren Umtauschkurses als 1:1 vor einer neuerlichen Abwanderungswelle gewarnt. Detaillierte Aussagen zum Bonner Angebot wollte Romberg erst nach der offiziellen Unterrichtung durch die Bundesregierung machen. Auch im Wirtschaftsministerium wollte man erst genauere Informationen abwarten. CDU-Sprecher Lück sah immerhin „Grund zur Hoffnung“, daß man in Bonn der Interessenlage der DDR-BürgerInnen entgegenkommen wolle.

Bonner Opposition: Wahlbetrug verhindert

Ganz anders sieht das der Vizepräsident der Volkskammer Wolfgang Ullmann, Abgeordneter des oppositionellen Bündnis'90: Mit dem 1:1-Limit bis zu 4.000 Mark für Sparkonten würden die DDR-BürgerInnen um ihre Ersparnisse betrogen. Sollte es bei dieser Entscheidung bleiben, sei „schärfster Protest“ nötig. Ullmann wies auch darauf hin, daß eine Begrenzung des 1:1-Umtauschs für Guthaben den Koalitionsvereinbarungen widerspreche. Die geplante Anpassung des Rentensystems nannte Ullmann „einen Hohn“. Angesichts steigender Preise und Mieten bedeute die Umstellung „eine klare Abwertung der Renten“.

Die 1:1-Entscheidung der Bundesregierung für Löhne, Renten und kleine Sparkonten quittierte der designierte Kanzlerkandidat der SPD, Oskar Lafontaine, gestern in Bonn mit der Bemerkung: „Der Wahlbetrug konnte insoweit verhindert werden.“ Entgegen den Beteuerungen der Bundesregierung, so Lafontaine, stünde aber am Anfang des Einigungsprozesses „eine gespaltene Gesellschaft“ mit deutlich reduzierten Leistungen für DDR-Bürger. Lafontaine forderte die Bundesregierung auf, endlich eine „seriöse Finanzplanung“ für die Kosten der Einheit vorzulegen, bisher habe die Bundesregierung stets so getan, als könne der Vereinigungsprozeß „aus der Portokasse“ bezahlt werden. Er selbst habe immer vor einer schnellen Ausweitung des DM -Währungsgebietes gewarnt, wer dies aber so schnell wolle, müsse die Folgen tragen und über die Kosten informieren. Lafontaine wies darauf hin, daß ganz offensichtlich ein „Dissens“ bestehe zwischen Bonn und Ost-Berlin: Der Forderung der DDR-Regierung, einen Aufschlag auf Löhne und Renten vor den Umtausch von 1:1 zu setzen, sei die Bundesregierung nicht nachgekommen.

„Zur Gewährleistung der parlamentarischen Beteiligung am Prozeß der deutschen Einigung“ hat die SPD gestern einen Antrag eingebracht. Danach soll ein Ausschuß gebildet werden, dem je elf Mitglieder aus Bundesrat und Bundestag angehören. Gemeinsame Sitzungen mit dem entsprechenden Ausschuß der Volkskammer sollen die Gesetzgebungsorgane der beiden deutschen Staaten an den notwendigen Entscheidungen beteiligen. Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel begründete den Antrag damit, daß der Einigungsprozeß „über die Köpfe der Menschen hinweg“ stattfinde und seitens der Bundesregierung „mit ultimativen Zeitvorgaben gearbeitet“ werde. Ganz anders als beim Einigungsprozeß von 1871, der „mit Blut und Eisen“ vonstatten gegangen sei, solle dies vom Volk selbst mit vollzogen werden. „Wir sind das Volk“ laute der entscheidende Satz - und der habe auch für das weitere Vorgehen zu gelten.

Die Grünen haben die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Umtauschkurse für eine Währungsunion mit der DDR scharf kritisiert. Christa Vennegerts, erklärte, die Bundesregierung versuche mit Teilzugeständnissen den Widerstand gegen ihre ursprünglichen Umtauschpläne von 2:1 abzuschwächen. Viele Sparer der DDR müßten sich jedoch immer noch als Betrogene vorkommen. Zudem sei das endgültige Rentenniveau in der DDR nach wie vor nicht klar. Die Gefahr bleibe bestehen, daß die Mehrzahl der DDR-Rentner zu Sozialhilfeempfängern werde.

eis/jon