Zartes Pflänzchen Selbständigkeit

■ Auf den Spuren unabhängiger Musik in Rostock / Zwischen staatlicher Lizenzvergabe und Währungsreform

Die Idee war schnell geboren und umgesetzt. Ein Informationsbesuch in Bremens Partnerstadt Rostock sollte Aufschluß geben. Was hat die Nordmetropole der DDR an unabhängigem Musikgeschehen an einem beliebigen Wochenende zu bieten? Gibt es Inde

pendent-Gruppen, Veranstalter und Räume? Was hat sich seit November verändert?

Nach fünf Stunden Autofahrt ein erster Rundgang mit Essen und Trinken, dem Kampf mit Garderobieren, zuviel versprechenden Speisekarten sowie dem ernst zu nehmenden Hinweis nach dem Klogang, diesen bitte nicht in Zloty zu bezahlen. „Sonst nehmen wir alles“.

Dann ein Blick in die Zeitungen, deren verklausulierte Kleinanzeigen außer einiger Discos keine Musik-Ereignisse verkünden. Steffen Schneider, Jugendseiten-Journalist und mittlerweile privatwirtschaftlicher Jung-Verleger für Fanzines, Plakate und ein kommendes Stadtmagazin, kann weiterhelfen.

In der Gaststätte „Wappenklause„ soll es unabhängige, selbstveranstaltete Musik geben, Dixie,„fetzig und ein absoluter Hit“. Die Kneipe ist abgeschlossen. Nach energischem Klopfen

an eine Fensterscheibe öffnet einer der Musiker. Sie wissen bereits vom Erscheinen eines Bremer Journalisten und eines Musikveranstalters, freuen sich herzlich.

Nur einen Sitzplatz vermögen auch sie nicht anzubieten, „alles ausverkauft“. An die Theke lehnen kommt auch nicht in Frage, aber im Garderobenzimmer, da ist Platz, „die Tür können wir ja offen lassen“. Die starren, disziplinierten Verhaltensmuster haben sich nicht geändert, „das dauert wohl noch“, sagt Gerd, ein Gast. Die Breitling Stompers nölen einen langsamen Blues und dann „Bei mir bist Du scheeen“. Gerd sagt, „daß die hier einfach in der Kneipe spielen, ist der reine Wahnsinn. Die sind eine Perle der Musikkultur Rostocks“. Begeistert berichtet er von der Wende, „so was war früher nicht möglich“.

Am nächsten Tag folgt die Aufarbeitung der Eindrücke, örtliche Meinungen werden gern mitgeteilt. Die Stompers musizierten übrigens auf einer Schwulen-Veranstaltung, das war zwar nicht zu bemerken, ist aber auch eine Neuheit.

Peter Naujoks, Regieassistent beim Fernsehen und nebenbei Herausgeber des Independent-Magazines Trash kennt die brennendsten Probleme Rostocker Musikschaffens. „Es gibt zu wenig Gruppen, zu wenig Säle und kaum Veranstalter. Früher war alles staatlich organisiert, die Leute haben nur konsumiert. Es fehlen immer noch neue Ideen.“

Doch die Musik von unten entwickelt sich. Underground gibt es zwar nicht, aber Bands wie Nowadays und Neuland erfreuen sich großer Beliebtheit. Ole Hübner von den angepunkten Neuländern meckert über die zu kleinen Gagen. Geld spielt überhaupt eine wichtige Rolle bei allen GesprächspartnerInnen. Der Rubel soll rollen, da haben pures Engagement und reine Menschenfreundlichkeit offensichtlich eine untergeordnete Bedeutung.

Auch Dirk Jurkschat vom Ex

FDJ-Klub JKH Rostock fixiert die Geldschie(ei)ne. 13 bis 20 Mark muß er schon nehmen, um die Kosten eines Auftritts vom Kaliber Die Vision aus Berlin/DDR zu decken. Aber er gibt zu, daß alles noch in der Schwebe ist. Der Klub besitzt Räumlichkeiten, für die ihn viele Bremer Veranstalter beneiden würden, doch Besitzer ist nach wie vor die Stadt Rostock. „So lange das alles ungeklärt ist,

wem was gehört, macht auch keiner was.“

Die neue große Freiheit hat, jedenfalls bis jetzt noch, nicht zur schillernden Vielfalt geführt, von kleinen Ausnahmen wie einem unabhängigen Cassetten-Vertrieb abgesehen. Nur in einem Punkt scheinen alle einig. Mit der Einführung der D-Mark wird alles viel besser.

Jürgen Franck