OFFENE SCHWÄRME

■ Dagmar Demming zeigt Objekte im Kulturhaus Peter Edel

Dagmar Demmings neue Installationen antworten auf den Ort, an dem sie sich zeigen, und die Zeit, in der sie entstanden sind. Soziologische, ethologische und semiologische Überlegungen sind Aspekte ihrer Arbeit. Die Künstlerin will sehen, was sie denkt.

Deshalb nutzt sie die Möglichkeiten analogischen Vorgehens und bringt die Zeichensysteme Sprache, Bild, Objekt so in Beziehung, daß jedeR gutwillig Interessierte leicht versteht, worum es geht. Sie erzählt vom Verhalten der Schwärme: „Schwärme bestehen aus Tieren beiderlei Geschlechts. Der Zusammenhalt wird durch die erzeugten und wahrgenommenen Schwingungen gewährleistet. Mit großer Genauigkeit erfolgen gemeinsame Richtungsänderungen. Aggressives Verhalten ist in Schwärmen unbekannt; es wird aber ein bestimmter Abstand zwischen den Tieren eingehalten. Es gibt gewöhnlich keine Anführer und keine untergeordneten Tiere (...). Bemerkt ein Tier Gefahr und flüchtet, so steckt es alle anderen an. Tiere, die sich vom Schwarm entfernt haben, fallen den Räubern zum Opfer. Entfernt man den Teil des Gehirns, in dem sich das Regelzentrum für den Zusammenhalt des Schwarms befindet, ist das Verhalten nur scheinbar normal (sozusagen menschlich. sezza). Sehen diese operierten Tiere Futter, schwimmen sie einfach los, ohne Kontakt mit dem Schwarm zu halten (...). Oftmals werden diese Tiere Führer des Schwarms.“ Zu diesem fabelhaften Text, der gut sichtbar in einem Kasten hängt, hat Demming eine schematische Abbildung von drei Schwärmen angeferigt. Über eine 2 mal 3 Meter große Wand ziehen Bleistiftstummel, Hölzchen, Metallfäden. Darüber stehen in großen Druckbuchstaben Bruchstücke aus dem Text im Kasten. Fragmentarisch spielt er Sinn an und verweigert ihn doch. Er schwankt zwischen Befehl, Aussage und Schlagzeile.

In der Führung benannten Installation ordnet sie Rangabzeichen in die Vertikale eines Stützpfeilers. Was zunächst wie eine minimalistische, extrem reduzierte Zeichenrelation in rot-weißer Opposition erscheint und als reine Geometrie zu lesen wäre, erweist sich durch den Titel als Analogie zu einer geordneten Truppe mit Anführer. Und damit ist es die Alternative zum Schwarm. Nicht ausschwärmen ins Weite, sondern hierarchisch gegliedert aufrücken. An der Rückseite dieser Säule verkehrt sich die Welt: Oben unter der Decke leuchtet hell eine Blumenwiese herunter, unten am Boden glänzt ein Wolkenhimmel aus Glanzpapier. So kommen die BetrachterInnen vom Wasser auf die Erde in die Lüfte, wo sich die Perspektiven verdrehen; kommen vom Ausschwärmen in eine Truppenanordnung und dann in eine verkehrte Welt.

In diesen Objektbildern - wie auch in den anderen ausgestellten Arbeiten - gibt sich eine skeptische Verhaltensweise zu erkennen. Sie überträgt sich auf die BetrachterInnen, die diese Exponate nicht ohne den Verdacht ansehen können, daß etwas nicht stimmt. Es sind Denkbilder: Sehen heißt Erkennen. Flüchtige Blicke werden nicht bedient.

Der Gedanke aber muß sich vermitteln. Das sinnliche Ereignis allein genügt nicht. Aber der kommunikative Impuls sucht weniger folgsame Schüler als eigensinnige PartnerInnen. Die können sich fragen, ob tierisches und menschliches Verhalten per Analogie kurzgeschlossen werden kann; ob der Text im Kasten nicht etwas vergessen hat; ob die Künstlerin mit ihrer bildnerischen Arbeit den Text nur illustriert, ihn erweitert, ihm etwas entgegensetzt. Wenn sie nicht mehr leistet, als eine Idee zu illustrieren, kann ich ja zu Hause bleiben und in Enzyklopädien lesen. Entscheidend sind die Beziehungen zwischen den Elementen der Installation. Sie werden so in Bewegung gesetzt, daß Aussagen zu Aussageweisen, Formeln zu Formulierungen werden. Es gibt keine einstimmige Botschaft.

Wenn diese Arbeiten genau genommen werden, mündet eine Diskussion darüber in gesellschaftspolitische Fragen (zum Beispiel wie das verhudelte Zusammenleben gewaltlos zu gestalten sei etc.). BetrachterInnen sind im Bild: im Horizont der „sozialen Plastik“. Beuys ist also nicht nur ein Museumsphänomen geworden, er hat offenbar Schüler gefunden, die keine Nachahmer sind.

Mit dem Namen Beuys ist aber nur eine Richtung bezeichnet, keine Verfahrensweise angebeben. Denn Dagmar Demming gehört wie Hanne Darboven, Christian Boltanski, Guilio Paolini, Rebecca Horn zu einem neueren Typus von KünstlerInnen, die nicht mehr auf ein spezielles Ressort, Material, Medium, Handwerk festgelegt werden können. Sie beziehen sich auf das gesicherte Grundwissen der Lexikas, arbeiten mit vorgefundenem Material und erfinden, was fehlt. Sie folgen einer bestimmten Vorstellung, der die Trennung zwischen Gefühl und Verstand fremd ist. Sie wollen Objekte schaffen, die subjektiver Erfahrung entspringen. Es ist eine Art poetischer Wissenschaft. Die bildnerische Arbeit läßt sich von der Strenge des Wissenschaftlichen entzünden, aber nicht regulieren.

Und gerade deshalb glaube ich, daß diese Künstlerin das Potential nicht ausgeschöpft hat. Sie kümmert sich kaum um das Licht, das auf ihre Installationen fällt; sie nützt die Materialbeschaffenheit ihrer Arrangements zu wenig; sie klammert sich eng an die Wand, öffnet sich nicht dem Raum. Aber vielleicht will sie, daß die BetrachterInnen andere Möglichkeiten und Lösungen bemerken. Und um sie nicht mit Perfektem zu langweilen, hat sie vielleicht ihre Installationen vor Abschluß abgebrochen.

Dagmar Demming ist es gewiß egal, ob das, was sie macht, Kunst ist oder nicht. Sie ist weniger am Kunstkontext als am Leben interessiert. Wenn es Kunst ist - okay, um so besser; dann bleibt es. Wenn nicht - aber was ist es dann?

Peter Herbstreuth

Kulturhaus Peter Edel, Berlin 1120, Klement Gottwald Allee 125, Mo.-Fr. 10-17 Uhr. Bis 12.5.