Versuch, sich der eigenen Partei verständlich zu machen

■ Antje Vollmer, Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, analysiert die Überlebensbedingungen ihrer Partei angesichts der gesamtdeutschen Perspekiven / Ihr Credo: Die Grünen müssen sich als ökologische Bürgerrechtspartei profilieren - Abschied von der sozialistisch-ökologischen Partei

Soviel guter Wille war noch nie, und trotzdem kannte die letzte Bundesversammlung der Grünen nur Verlierer. In der unseligen „Kampfabstimmung“ über die Präambel haben die Linken verloren und die Aufbruchgruppe und die Realos nicht gewonnen. Das klingt nach einer Wiederauflage des ökologischen Gleichgewichts der Grünen bei der Nulloption. Trotzdem glaubt keiner der Basis an die Weisheit dieses Beschlusses. Der Beschluß beantwortete nämlich nicht den Gegenstand des Konfliktes. Der erschien zwar in der Form des sattsam bekannten Streits zwischen den Partei-Fraktionen. In Wirklichkeit aber war es ein Streit zwischen dem „zu schnell“ und dem „zu langsam“. Das inhuman hohe Politiktempo, das seit dem November in Deutschland um sich gegriffen hat, hatte uns Bonner „Politprofis“ dazu verführt, zu schnell, zu unverständlich und zu sehr auf einen Punkt konzentriert vorzugehen. Die Basis dagegen reagierte wie bekannt störrisch, aber eben zu langsam für die revolutionären Umwälzungen in unserer politischen Umwelt und damit auch zu langsam für die Überlebensbedingungen einer grünen Partei im entstehenden neuen Deutschland. Das verdoppelte Politiktempo hat die unterschiedlichen Bedingungen, unter denen Basis und (realexistierende) Führung arbeiten, offensichtlich gemacht und in Hagen hart aufeinanderprallen lassen.

Es ist nichts Illegitimes daran, diesen Konflikt anhand einer Präambel und eines Streits um das grüne Selbstverständnis auszutragen. Es war sogar um vieles besser, als wenn dieser Streit um Personalpolitik ausgebrochen wäre. Trotzdem kam er für alle in der Partei zu unvorbereitet.

Dagegen, diese Klärung jetzt überhaupt zu versuchen, spricht vieles: die Rücksichten auf ein Wahlkampfjahr, die berechtigten Ängste in Bezug auf die Landtagswahlen, die alten Sorgen vor einer Spaltung, die Resignation, bei den Grünen werde es doch niemals zu einer grundsätzlichen Entscheidung über ihre Identität kommen. Dafür spricht, daß die meisten Menschen innerhalb und außerhalb der Partei es als Befreiung zur Politik begreifen würden, wenn es endlich einen Durchbruch der Grünen zu sich selbst geben würde. Dafür spricht auch, daß das Bild der Grünen zu grau und zu unklar geworden ist, als daß wir damit heil durch die Steilwand dieses Wahljahrs kommen könnten. Also: alle sehen das Risiko, alle wissen, daß die Zeit knapp ist. Alle wissen aber auch, daß ein Signal von uns kommen muß. Dafür würde die Zeit gerade reichen, wenn wir sie denn konzentriert auf die Klärung der Hauptfrage verwenden würden.

Worum geht es?

„So wie unsere gesamte Gesellschaft sich nicht im mindesten auf ihr Hauptproblem - die Ökologie - konzentriert, so scheut sich die wichtigste ökologische Partei bisher, diese notwendige Verdichtung und Konzentration vorzunehmen. Unsere Aufgabe ist eine Veränderung von Produktion und Konsumtion, Leben, Gesellschaft und Politik, die so tiefgreifend ist wie der Epochenwechsel vom Mittelalter zur Neuzeit“ (Bernd Ulrich). Es geht um nicht weniger als eine grundlegende Veränderung der kapitalistischen Produktionsweise und der sie leitenden Interessen, die als Handlungsmodell selbst noch die sozialistische Produktionsform geprägt hatte. Das Dramatische unserer Situation liegt darin, daß dieser Epochenwechsel im Zeitmaß einer Generation ablaufen muß und dazu noch demokratisch, also mittels der Übernahme von Verantwortung durch selbstbestimmte Individuen. Diese Aufgabe scheint ungeheuer, wird aber um so klarer, je mehr mensch sie annimmt. Die Ökologiefrage als Revolutionierung aller Produktions- und Konsumverhältnisse und des Austauschverhältnisses zwischen Mensch und Natur zu begreifen, das war immer der eigentliche Existenzgrund der Grünen. Es war immer der Hauptgrund, warum Menschen dieser Partei ihr Vertrauen geschenkt haben.

Untrennbar damit verbunden war die Demokratie- und Menschenrechtsfrage. Unsere Hoffnung, daß mit der Demokratie - und Menschenrechtsbewegung wirklich gewaltfreie Revolutionen möglich sind, ist aber erst seit der Entwicklung in Ost- und Mitteleuropa historisch belegt. Das ist die neue Ausgangssituation, der sich alle in der Partei bisher nur ungenügend gestellt haben. Statt sich nun aber dieser Wirklichkeitsverändernden und revolutionären Kraft gewisser zu sein, ziehen sich die Grünen in ein Parteimodell zurück, in dem noch die alten Weltordnungen herrschen. Die erfolgreichste aller Parteien droht an ihrer Wirklichkeit zu zerbrechen nach derselben selbstverzehrenden Methode, mit der schon mal die Kinderladenbewegung die Erziehung und die Kommune I die Kleinfamilie revolutioniert hatten: die Wirkung blieb, die Revolutionäre wurden dabei aufgerieben.

Mit der Linken

gegen Linksblock

Wir müssen aber nicht in den Nebeln von Avalon verschwinden. Eine Partei kann auch ihr eigenes Überleben durch Konzentration auf ihre zentrale Identität gewisser machen. Denjenigen, die diese Konzentration der grünen auf die Ökologie-, Demokratie und Menschenrechtsfragen vorschlagen, geht es nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie um die Partei. „Es geht um die Frage, an welchem politischen Ort in der Gesellschaft sich Menschen zusammenfinden, die voneinander wissen, daß sie das als ihr eigentliches Hauptproblem begreifen. Es geht um ein Bündnis der Menschen, die angesichts der ökologischen Probleme nicht mehr mit Wegducken hinter andere Probleme reagieren wollen und können“ (B.U.). Was die Grünen brauchen, ist ein Wechsel von einer sozialistisch-ökologischen Partei zu einer ökologischen Bürgerrechtspartei, in der selbstverständlich Linke sind. Eine Partei, die sich ökologisch radikalisieren will - worauf alle warten -, kann gerade deswegen nicht damit fortfahren, in allen Bereichen beliebig linksradikal zum ersten, zum zweiten und zum dritten Mal zu sein. Sie setzt sonst die Glaubwürdigkeit ihrer ökologischen Radikalität und ihrer Menschenfreundlichkeit aufs Spiel.

Es gibt überzeugende Beispiele, daß einige, die sich aus Tradition und Überzeugung zu den Linken in der Partei zählen, sich dieser Frage gestellt haben. Aber die fraktionsmäßig organisierte Linke bei den Grünen ist bis heute der theoretischen und praktischen Klärung des Verhältnisses von linken Politiktraditionen zur Ökologie und zur Demokratiebewegung ausgewichen. Eine Möglichkeit, sich dieser Diskussion rechtzeitig und selbstbestimmt zu stellen, die von 130 Kreisverbänden unterstütze Urabstimmung, haben sie mittels einer Gremienintrige vereitelt.

Damit keine Mißverständnisse entstehen: Es gibt gewichtige und ernstzunehmende Gründe, linke Überzeugungen in der Grünen Partei zu vertreten, und die meisten teile ich selbst. Die soziale Frage ist nirgends gelöst und hat ihren Platz bei den Grünen - wie die Hoffnungen in die Verwirklichung sozialistischer Ideale nicht von der Erde verschwinden dürfen. Nicht das kritisiere ich an dem linken Block innerhalb der Grünen, sondern ihr Parteiverständnis und ihre Politikmethode. Unbeirrt konservativ wird da ein elitäres Aktivistenkonzept kultiviert: das Politkommissarwesen, das unentwegte Entlarven von „Verrätern“, das Kontrollwesen über ökosozialistische Rechtgläubigkeit, die Besetzung von Schlüsselpositionen im grünen Apparat mit strikten Parteigängern, die öffentliche Brandmarkung von Verstößen gegen die „Parteidisziplin“ und die gezielte Verletzung und Demütigung von „Promis“ - das alles sind Politikmethoden, die zu Intoleranz und Inhumanität in den Reihen der Partei beitragen.

Jeder weiß, daß die Linken zur Zeit praktisch und theoretisch ungewöhnlich komplizierte Entwicklungen zu bewältigen haben. Zärtlichen Respekt also für all die Linken bei den Grünen, die sich dem Lebensexperiment ihrer eigenen Veränderung in der Partei aussetzen, ohne ihre früheren Überzeugungen zu vergessen. Aber es muß ein Ende sein mit dem Kult einer vermeintlichen linken Märtyrerrolle bei den Grünen, die in der Regel von der Partei fürstlich belohnt wurde, obwohl sie doch zunehmend statt einer Weltanschauung nur eine pathetische Pose gegenüber der Welt zelebrierte.

Und es muß Schluß sein mit der Arbeitsteilung, daß ein Teil der Partei sich vorrangig um die Clan-Absicherung im innerparteilichen Machtkampf kümmert, während die anderen die geringe Mühe auf sich nehmen, nach innen Konsense zu versuchen und nach außen das Vertrauen von Mitmenschen in die Grünen zu gewinnen. Jemand muß sich schließlich auch um die Wähler kümmern.

Eine basisdemokratische Partei mit der offenen Struktur der Grünen ist ausbeutbar. Wir müssen lernen, mit diesem Faktum klüger umzugehen. Und dazu gehört die Fähigkeit zu unterscheiden zwischen den Fällen, wo es wirklich um die Rechte von gesellschaftlich bedrohten Minderheiten geht und denen, wo im Schatten der Opferrolle nur der Wettkampf um das allerbeste Linkssein gegenüber der linken SPD, der PDS und den Aktivisten der Hamburger Hafenstraße auszutragen ist. Da aber wird der Platz für die Grünen zu knapp.

Sebstverständnis

vom Aufbruch

Nach der Hagener Delegiertenversammlung gab es nicht wenige Irritationen über den „Aufbruch“ und seine Rolle in der Grünen Partei. Der Wunsch, wir möchten doch bitteschön in unsere alte (ausgleichende) Rolle zurückkehren, war dabei gelegentlich heftiger als die tatsächliche Zuneigung zu dieser Rolle in der Vergangenheit. Uns als Zentristen oder „Versöhnungsbund“ innerhalb der Partei zu verstehen, war dabei Moment eines wohl unvermeidlichen Mißverständnisses. Für uns war die Aufbruch-Gruppe immer Teil des Selbstveränderungsprozesses der gesamten Partei. Die Aufbruch-Zugehörigkeit bestimmte sich gerade nicht durch Strömungsge- oder -verbote (zum Beispiel: du darfst niemals mit den Realos/den Fundis...). Wir waren so frei, alles zu dürfen. Weil jeder auf sein eigenes Risiko Politik macht, haben wir uns auch in keinem Fall von Stellungnahmen und Aktionen einzelner Mitglieder der Gruppe distanziert - trotz teilweise heftiger Debatten. Nach unserem Selbstverständnis sollte der Dialog untereinander mit der weitest denkbaren Spannbreite stattfinden. Ziel war die Überwindung der Rechts -Links-Polarisierung im eigenen Denken und der Lagerbildung in der Partei - oder, positiv formuliert: die Ermutigung und der Rückhalt dafür, sich immer neu mit unterschiedlichen Gruppen und Personen innerhalb und außerhalb der Partei auf etappenweises gemeinsames Vorgehen zu verständigen. So sollte die Aufbruchgruppe nichts anderes sein als ein Signal für den notwendigen Aufbruch der ganzen Partei. Dafür haben wir in den Gremien, in denen wir mitgearbeitet haben, immer

-nachprüfbar - aus der Minderheitenrolle heraus versucht, Einfluß und Überzeugung zu gewinnen. Dissidenten in der Gruppe gibt es nicht, weil es keine Aufbruch -Rechtgläubigkeit gibt. Was es gab, war eine Verständigung auf eine Politikmethode der Humanität und der angstfreien Dialogkultur mit dem Recht auf Versuch und Irrtum, das allen zusteht. Wenn das erst einmal wieder Gemeingut der Grünen Debatten geworden ist, kann sich die Gruppe umgehend auflösen.

Entscheidung muß fallen

Die Grünen sind kein Selbstläufer mehr. Sie wären es bei einer bevorstehenden Wahl Kohl gegen Lafontaine nicht einmal, wenn wir unsere Perspektive überzeugender geklärt hätten. Unter den Bedingungen des entstehenden neuen Deutschlands und der Verdrängungsversuche der Überlebensfrage müssen wir mit aller Kraft gegen die Restauration anrudern und uns von daher auf eine Hauptrichtung einigen. Niemand in den Grünen soll seine Vergangenheit und seine Überzeugungen vergessen. Darum geht nicht der Streit, sondern um das Wohin, um den Kern des Projekts, um das Bewußtsein von der eigenen unverwechselbaren Geschichte, um das Lebendige im Grünen Parteiapparat. Daß die Frage der grünen Identität heute leichter zu definieren ist - nach zehn Jahren des Suchens und des Lebensexperiments - hängt mit der inspirierenden Kraft zusammen, die uns aus den oppositionellen Bewegungen in Osteuropa zuwächst. Die haben in Distanz zu uns offensichtlich genauer erfaßt, wo der zukunftsweisende und revolutionäre Teil der grünen Ideen liegt. Sie haben den realen Sozialismus und das leninistische Parteimodell schonungsloser kritisiert, als wir das zu tun wagten. Sie haben sich vorbehaltloser den basisdemokratischen Prozessen ausgesetzt, als wir uns das zutrauten. Und sie haben den gesellschaftlichen Vorrang der Ökologie eindeutiger als das zentrale Menschheitsproblem akzeptiert, als dies unserer politischen Praxis entspricht. Für uns gibt es deswegen so etwas wie eine Verpflichtung, diese Errungenschaften der gewaltfreien Revolution zu verteidigen und ihnen einen politischen Raum zu geben.

Dafür müssen wir uns jetzt entscheiden. In Hagen haben sich - auch durch unsere Verständigungsprobleme - die neuen Konfliktlinien noch mit den alten (Realo/Fundi oder rechts/links) gemischt. Die nächste Bundesversammlung aber muß eine Klärung und den Durchbruch bringen. Es gibt in der Partei eine neue Gruppe von jungen Radikalen, die an einem „ökologischen Manifest“ arbeiten. Die werden wir unterstützen in dem Wunsch, damit zugleich eine mögliche Wahlaussage für die Bundestagswahlen wie eine Arbeitsgrundlage für den neu zu wählenden Bundesvorstand zu bekommen. Wer mitmachen will, soll sich melden.

Antje Vollmer