Nicaragua nach dem Regierungswechsel

■ Vor der Amtsabgabe haben die Sandinisten noch schnell die Weiterbeschäftigung ihrer Staatsangestellten gesichert / Die neue Regierung muß mit einer Verfassung leben, die sie nicht geschrieben hat / Massenstreiks in nicaraguanischen Städten für höhere Löhne

Viel ist von Demokratie die Rede in diesen Tagen. Erstmals wird eine Frau in Mittelamerika regieren, die durch freie Wahlen an die Macht gekommen ist. Erstmals in Lateinamerika hat sich eine linke Revolutionsregierung, die durch bewaffneten Kampf an die Macht gekommen ist, abwählen lassen.

Erstmals in der Geschichte Nicaraguas kommt es zu einer friedlichen Machtübergabe an die Opposition. Noch dazu nicht an irgendeine parlamentarische Koalition, sondern an die Nationale Einheit der Opposition („Uno“), die die Restauration auf ihre Fahnen geschrieben, die einen offenen Krieg gegen die Revolutionsregierung unterstützt hat und die zuletzt in einem Abkommen mit den Contras deren Terror als „patriotische Leistung“ würdigte.

Umso unwahrscheinlicher schien es darum vielen in Nicaragua zunächst zu sein, daß die Sandinisten die Regierungsmacht aus der Hand geben und damit zu riskieren, an die Wand gespielt zu werden. Ein Verhalten, das den bisher neun FSLN -Kommandanten heftige Kritik von ihrer Parteibasis eingetragen hat. Diese fürchtet, daß aus den Revolutionären jetzt sozialdemokratische Parlamentarier werden, die für einen politischen Handel ihre alten Ideale verraten. Tausende treue Parteigänger werden bald auf der Straße stehen und mit ihrer sandinistischen Vergangenheit wenig Aussichten auf Arbeitsplätze haben.

Verfassung und Parlament bekommen nun eine Bedeutung, die sie bisher nicht hatten, denn zwischen Exekutive, Legislative, Gerichtbarkeit und Massenorganisationen herrschte in den wichtigen Fragen immer Einigkeit. Die neue Regierung muß mit einer Verfassung leben, die ihre Vorhaben behindert, und die sie aus eigener Kraft nicht reformieren kann. Die Sandinisten hatten es zehn Jahre lang nicht mit einer konstruktiven Opposition, sondern mit einem unbewaffneten Flügel der Konterrevolution zu tun. In der künftigen Regierung werden ehemalige Contra-Chefs, geständige CIA-Spione und Unternehmer, die systematisch Kapitalflucht betrieben haben, sitzen. Die „Uno„-Vertreter, die früher für die Gewaltentrennung auf die Barrikaden gestiegen sind, beklagen heute, daß sie im Obersten Gerichtshof in der Minderheit sind.

Vor wenigen Wochen verabschiedete das bisherige Parlament ein Gesetz, das den Staatsangestellten Arbeitsplatzsicherheit garantiert. Doch schon jetzt haben „Uno„-Verantwortliche verbreiten lassen, sie würden alle Sandinisten-Anhänger entlassen. So ist es kein Wunder, daß in manchen Ministerien Büromaterial, Klimaanlagen und Möbel geplündert wurden, was erst gestoppt wurde, als oberste Funktionäre einschritten. Die sandinistische Regierung verlangte öffentlich die sofortige Rückgabe der geraubten Gegenstände. Die Angestellten wurden ausdrücklich angewiesen, von allen Tricks Abstand zu nehmen, um allfällige Schenkungen noch rechtzeitig in Parteikanäle umzuleiten. Sogar unverbindliche Zusagen ausländischer Hilfswerke wurden im Inventar vermerkt.

Überhaupt fällt auf, wie die Sandinisten sich vor aller Welt als mustergültige Demokraten zu beweisen versuchen. In den letzten Tagen ist eine Serie von Streiks in Staatsbetrieben ausgebrochen. Die Banken und Postämter waren drei Tage lang geschlossen und die Telefonzentrale vermittelte keine Ferngespräche mehr. Zuletzt drohten noch die Beschäftigten der Wasserwerke, zu streiken. Statt den Arbeitern die - durch die galoppierende Inflation und dem Reallohnverlust gerechtfertigte - Forderung nach 100- oder 200prozentiger Lohnerhöhung zu gewähren und damit noch vor dem Amtswechsel die Inflation anzuheizen, rief Daniel Ortega zur Mäßigung auf. Auch in Zukunft müsse die Wirtschaftslage des Landes berücksichtigt werden. Sogar Innenminister Tomas Borge sagte: „Ich könnte euch jetzt empfehlen, Gehorsam und Pflichterfüllung zu vergessen, ich könnte raten, euch nicht mehr aufzuopfern“, rief er den Offizieren und Mitarbeitern seines Ministeriums zu, die ihn am Freitag feierlich verabschiedeten, „aber ihr müßt auch unter dem neuen Minister Revolutionäre bleiben und eure Pflicht erfüllen“.

Jedes Lob eines „Uno„-Funktionärs, der plötzlich entdeckt, daß die sandinistische Bürokratie tadellos gearbeitet hat, wird stolz in der Parteizeitung Barricada zitiert. Jeder Kommentar einer ausländischen Regierung ist eine Fernsehnachricht wert. Und im bislang noch sandinistischen Fernsehen wird ohne Bitterkeit über den bevorstehenden Besuch von US-Vize Dan Quayle berichtet, der zur Amtsübergabe notorische Contra-Freunde wie die nordamerikanische Ex-Botschafterin bei den Vereinten Nationen Jean Kirkpatrick mitbringt. Daniel Ortega hat sich sogar bei Fidel Castro dafür eingesetzt, daß die kubanischen Ärzte nicht abgezogen und die Zusagen über Wirtschaftshilfe erfüllt werden. Dabei hätte der scheidende Präsident allen Grund, seine Mithilfe zu verweigern. Als er vor einem Jahr in West-Europa um Finanzhilfe für seinen Wirtschaftsplan warb, schrieb Violeta Chamorro an die Regierungschefs und riet ihnen dringend von jeder Unterstützung ab.

Ralf Leonhard