„Suche Stimmen. Biete Rassismus“

Castelvolturno leugnet den Rassismus / Die Ermordung von fünf afrikanischen Immigranten in Süditalien ist nicht die erste rassistische Gewalttat im Land / Hetzkampagnen gegen Immigranten im Wahlkampf / Politiker üben sich im Wegsehen  ■  Aus Castelvolturno Werner Raith

„Du kannst“, sagt Hauptmann Bellari und macht eine weitausholende Geste um sich herum, „über die Täter alles phantasieren, was Du willst; wenn Du magst, kannst du sogar schreiben, daß es der Staatspräsident war. Nur eines darfst du auf keinen Fall: Rassismus dahinter vermuten.“ Der Carabiniere an seiner Seite verzieht das Gesicht: „Fünf Schwarze im Blut, sieben verletzt, aber natürlich ist es kein Rasismus - da soll nun einer schlau draus werden.“ Hauptmann Bellari ist militantes Mitglied der katholischen Gewerkschaft CISL, der Carabiniere gehört einer Bürgervereinigung gegen Rassismus an, und beiden will die offizielle Version des Attentats vom Dienstag morgen nicht hinuntergehen.

Tatsächlich heißt die oberste Parole im zutiefst geschockten Italien derzeit: Um Himmels Willen - nur nicht die Rassismusfrage an den grauenhaften Morden von Castelvolturno/Pescopagano ankleben lassen. Der Überfall auf die Espressobar in der Provinz Caserta bei Neapel darf auf keinen Fall anders denn als Shoot-out rivalisierender Banden, ersatzweise als pädagogischer Hammerschlag der dort dominierenden Camorrachefs gegen untreue Zwischen- und Kleinhändler gedeutet werden. „Wenn's nicht Zynismus wäre“, sagt Muhammad El Ibor, der die böse Aufgabe hat, die Eltern zweier der Ermordeten zu verständigen, „würde man sagen, welch ein Glück für das Land, daß es auch zwei Italiener erwischt hat, sonst müßten sie rundheraus eingestehen, daß hier nicht nur Drogenhandel reinspielt.“

Daß die organisierte Kriminalität der Gegend für das Gemetzel verantwortlich ist, daran zweifelt niemand, auch daß mindestens einige der Opfer - in der Bar wie in dem Fiat 127, den das acht- bis neunköpfige Kommando danach unter Feuer genommen hat - Dealer waren, ist unbestritten (im Magen eines der Angeschossenen fanden sich zehn versiegelte Kapseln mit Heroin). Auch daß eine Anzahl von Immigranten ihrerseits camorraähnliche Strukturen aufgebaut hat, ist bekannt: schließlich leben in der 10.000-Einwohnerstadt Castelvolturno an die 6.000 Afrikaner und Asiaten - die höchste in Europa bisher erreichte Quote.

Daß das Blutbad aber auch noch andere als rein organisiert -kriminelle Aspekte aufweist, vermuten inzwischen nicht nur die Verfolgten selbst: „Selbst wenn nur eine Bandenschießerei am Anfang stand“, sagt der linksunabhängige Abgeordnete Stefano Rodota, - „die geradezu auf Ausrottung zielende Energie - den Fiat 127 haben die Gangster erst auf ihrer Flucht gesehen und sind nochmal ausgestiegen, nur weil da auch Dunkelhäutige drinsaßen - zeigt doch, daß da auch Haß dahintersteckt, der über den rein geschäftlichen Aspekt hinausgeht.“ Wundern muß man sich nicht darüber, und das provoziert auch das zunehmend schlechte Gewissen und die Verdrängungssucht des „offizielen Italien“: Wie niemals zuvor seit dem Faschismus ist derzeit Rassismus ganz offen angesagt - Italien steht mitten im Wahlkampf, dessen beherrschendes Thema sind die Immigrantengesetze. Weil norditalienische Bürgerinitiativen und regionale Miniparteien mit Ausfällen gegen Zuwanderer Stimmen einheimsen, überbieten sich die bürgerlichen Parteien in einwanderungsfeindlichen Rezepten.

Allen voran hat die Sozialistische Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Bettino Craxi, sowieso seit langer Zeit auf neokonservativem Kurs, das Thema aufgenommen, vor wenigen Wochen ein hinterhältiges Kontrollgesetz zur Einwanderung durchgedrückt und dann ihre Bürgermeister darangesetzt, afrikanische und asiatische Händler aus den verkaufsattraktiven Stadtzentren zu vertreiben. Eine wahre Hetzjagd der Bürger begleitete die Aktion, in Florenz, Verona, Turin, Genua wurden Fremdlinge (auch Sizilianer) zu Paaren getrieben, einige gar ermordet. Die Politiker weinen danach regelmäßig ihre Krokodilstränen und gewinnen schnell wieder Oberhand über die Tagesordnung.

Kein Wort dagegen war bisher zu hören aus Politikermund zu den Lebensbedingungen der Immigranten in Gegenden wie Castelvolturno, wo sich die Zugewanderten zu Tausenden am Morgen am Straßenrand für Bauern, Fabriken und zur Prostitution anbieten, auf Karren oder rumpeligen Lastwagen auf die Felder oder in die Fabriken gekarrt, nach sechzehn Stunden Arbeit mit einem Hundelohn von manchmal nicht einmal fünfzehn DM wieder entlassen werden (und oft genug auch noch zu Fuß nach Hause gehen müssen), kein Wort zur Frage, warum denn diese Menschen Drogenhandel oft als letzten Überlebenskampf beginnen.

Vermutlich wird die Ablenkung auch diesmal wieder gelingen. Das kommunistische Parteiblatt 'L'Unita‘ - neben 'Il manifesto‘ eine der wenigen Zeitungen, die die Bluttat differenzierter sehen - hatte die derzeitigen Politikerideologien am Tag vor dem Anschlag auf einen bündigen Nenner gebracht: „Suche Stimmen. Biete Rassismus.“